Inhalt:
1. Problemaufriss
Schule gestern:
Stellen wir uns einmal vor; Sie wären vor 100 Jahren Lehrer/innen auf dem Lande:
Sie kommen früh am Morgen in die Schulstube, die unter ihrer Wohnung liegt. Im Winter kommen Sie etwas früher, da Sie ja noch das Zimmer heizen müssen. Vor Ihnen sitzen Schüler von der ersten bis zur achten Klasse.Sie geben kurz eine Einführung in die verschiedene Themen, beauftragen vielleicht einen älteren Schüler mit Hilfsarbeiten. Unter Umständen kann es dann noch vorkommen, dass Sie zwischendurch noch ein paar Dinge im Garten erledigen, da Sie Ihre Versorgung für den langen Winter noch nicht geregelt haben ....
Natürlich ist Schule heute nicht mehr so: Vielfältige Anforderungen werden im vermehrten Umfang an die Schule gestellt. Anforderungen, die vor 100 Jahren gar nicht für möglich gehalten wurden:
Sei es Drogenerziehung, Geschlechtserziehung, Verkehrserziehung, Medienerziehung
bis zur Gewaltprävention, usw. Viele dieser Inhalte waren Aufgabe des
Elternhauses und das Elternhaus "stand hinter der Schule".
Auch die Größe
des Schulhauses und der unterrichtenden Kollegen und Kolleginnen ("Fräuleins")
blieben im Rahmen des überschaubaren.
Schule heute:
Vergleichen wir damit die Schule, so wie Sie sie kennen und so wie Sie sie erlebt haben:Sie kommen in der Regel in eine große Schule, in der
viele Kollegen/ Kolleginnen unterrichten. Sie haben vielleicht den Eindruck,
manche von ihnen arbeiten zusammen, andere nicht. Manche sind sehr engagiert
und kümmern sich auch um die Belange der Schule, andere kümmern
sich nur um ihre Klasse und einige wenige "reißen" vielleicht
ihre Aufgabe herunter. So etwas wie eine gemeinsame prägende Philosophie
hatten u. U. nur wenige in ihrem Bildungsleben kennen gelernt.
Sie kennen natürlich auch die Gründe für das Entstehen von "Massenbildungsstätten":
- Die vielfältige Aufgabenverlagerung vom Elternhaus auf die Schule in Folge der Industrialisierung/ Modernisierung der Lebenswelten verlangt den Spezialisten, der nur in "großen Institutionen ausgelastet werden kann",
- der Unterhalt kleiner Schulen ist zu teuer,
- die Bildungsansprüche der Wirtschaft sind gestiegen,
- die Eltern "lassen ihre Kinder in der Schule versorgen", damit sie selbst arbeiten können,
- usw., usw., ....
Weil diese Entwicklung auch mit negativen Nebenwirkungen behaftet ist und
zudem die "geforderten" Leistungserwartungen nicht erfüllt
wurden (s. PISA), verspricht man sich jetzt durch "organisierte
Schulentwicklung" dem Modell des "Einzelkämpfers" ein
Ende zu setzen. Zu leicht wird dabei vergessen, dass es Schulentwicklung
schon immer gegeben hat. Sei es z. B. die Bielefelder Laborschule oder
die Helene- Lange-Schule oder die die Bewegung
der vielen Freien Schulen. An diesen Schulen
entwickelte sich eine neue Schulkultur unter dem Einfluss von bedeutenden,
charismatischen Persönlichkeiten bzw. einer prägenden gemeinsamen
Werthaltung (konfessionellen Freien Schulen). Diese praktizierte Schulentwicklung
hatte Vorbildcharakter und wirkte sich - vielleicht nur in einzelnen Elementen
- auch auf viele andere, oft nicht bekannte Schulen aus.
Um aus diesen Entwicklungen zu lernen (NRW: Zukunft der
Schulen) ist es
Sinn und Zweck einer Schulentwicklung im 21. Jahrhundert, dass sich jede
Schule als Gesamtheit - als eine lebende Gemeinschaft - versteht. Alle
Maßnahmen
einer ("organisierten") Schulentwicklung sind demnach darauf ausgerichtet,
die Zusammenarbeit aller am Schulleben beteiligter Personen zu verbessern.
Weil im Zentrum der Bemühungen dabei die Unterrichtentwicklung steht
(--> nächste Seite), beschränkt sich das Kapitel auf wesentliche
Züge von Schulentwicklung.
Schulentwicklung ist kein Selbstzweck. Ihre einzige Legitimation liegt darin, das Lehren und Lernen humaner und erfolgreicher zu machen. |
2. Methoden "organisierter" Schulentwicklung
Bei dem Ausdruck "organisierte Schulentwicklung" könnte
vielleicht der Eindruck entstehen, dass die Entwicklung der Modell- und Reformschulen
nicht organisiert abgelaufen sei. Dies ist damit keinesfalls intendiert.
Vielmehr soll hier damit klar gestellt werden, dass die Prozesse und Vorgehensweise
die dort und in Wirtschaftsunternehmen entwickelt wurden, praktisch als Modell
auf andere Schulen "standardisiert" übertragen werden.
Pädagogische
Berater - Prozessbegleitung - unterstützen, wenn sie angefordert werden,
die einzelnen Schulen bei ihrer Entwicklung mit einem kritischen Blick von
außen (critical friends). Passung, Glaubwürdigkeit, Umsetzungswillen
und tatsächliche Umsetzung in die Praxis sind bei einer initiierten
Schulentwicklung sauber zu unterscheiden.
2.1 Schulentwicklung mit Hilfe eines Leitbildes
Ein Schulentwicklungsprozess kann als visionärer Prozess angelegt sein, der
eine bestimmte Struktur besitzt:
Mit Hilfen verschiedener Methoden Z.B. einer Zukunftswerkstatt, wird eine
Vision entwickelt. Beispielhafte Fragestellungen für die Zukunftswerkstatt
könnten sein:
- "Wie sieht eine gute Schule aus?
- Wie sieht eine Schule aus, in der wir selbst Schüler sein wollen?
- Wie sieht eine Schule im 21. Jahrhundert aus?
- ...
2.1.1 Das Leitbild einer Schule
Aus der Vision einer wünschenswerte, idealen Schulen, erfolgt eine erste Reduktion und Konkretisierung in der Form eines verbindlichen Leitbildes. Dieses Leitbild spiegelt den Konsens aller Kollegen/innen wider.
Ein Leitbild muss folgenden Ansprüchen genügen:
- Allgemeingültigkeit
- Wesentlichkeit
- langfristige Gültigkeit
- Wahrheit
- Realisierbarkeit
- Konsens
- Klarheit
Damit wird klar, dass ein Leitbild gemeinsam von einem Kollegium, den Schülern,
Elternvertretern entwickelt wird.
Der Diskussionsvorgang innerhalb des Kollegiums
schafft die "eigentlichen" Voraussetzung für die Schulentwicklung.
Von der Schulleitung entwickelte oder gar aus dem Internet abgeschriebenen
Leitbilder und Programme erfüllen in keiner Weise die Anforderungen.
Es ist dabei nicht notwendig (und auch gar nicht erreichbar), dass 100% hinter
dem Leitbild stehen. Es ist schon von viel erreicht, wenn das "zaudernde
Drittel" kritisch den Prozess begleitet.
Zusammenfassung:
Das Leitbild macht Aussagen über:
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2.1.2 Weitere Möglichkeiten zur Erstellung von Leitbildern:
- Bestandsaufnahme:
- Daten sammeln - auswerten - Folgerungen ziehen
- Stärken – Schwächen - Analyse
- Chancen – Risiken - Analyse
Beispiel für ein Leitbild:
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2.1.3 Vom Leitbild zum Schulprogramm
Die
Schulprogrammentwicklung ist ein Prozess, bei dem es gilt, die Ziele - das
Leitbild - systematisch, kontrolliert und koordiniert in überprüfbare
Formeln umzusetzen.
In diesem Prozess geht es darum, das sich ein Kollegium
/ die Schulgemeinde auf gemeinsame Ziele, Wertvorstellungen, Entwicklungsaufgaben
und deren Überprüfung einlässt. Dies ist nur mit möglichst
viel Kommunikation zu erreichen.
Während das Leitbild eine langfristige Perspektive aufzeigt, ist das Schulprogramm/ -konzept mittelfristig angelegt. Die Aussagen des Schulprogramms sollten demnach so konkret sein, dass ihr Erreichen bzw. der Weg dahin auch überprüft werden kann.
Eine besondere Bedeutung gewinnen Schulprogramme zukünftig auch bei einer schulscharfen Bewerbung. Es empfiehlt sich zur Vorbereitung auf das Auswahlgespräch die entsprechenden Seiten der Schulprogramme ( häufig im Netz veröffentlicht) anzusehen. Es erleichtert ihnen auch die Überlegung, ob sie sich mit dem Programm identifizieren können oder wollen.
In Baden Württemberg wird im Gegensatz zu andern Bundesländern das Schulprogramm als Schulkonzept bezeichnet.
Beispiel eines Programmes:Das Pädagogische Programm der X-Schule
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2.1.5 Das Schulprofil
Ein
Begriff, der häufig mit dem Schulprogramm verwechselt wird, ist
das Schulprofil.
Ein Schulprofil ist die individuelle Ausprägung
der Schule oder auch "der Ruf einer Schule".
Hier ist der natürliche
Platz für die Besonderheiten der Schule, auf die im Leitbild hingewiesen
wurde.
2.1.6 Vom Programm zur Verwirklichung
Konzepte und Organisation der Schule richten sich in der Folge an den
möglichst
wenigen Sätzen des Schulprogramms aus und dienen der Verwirklichung
des Programms.
In diesem Sinne hat dann z.B. die Schulleitung dafür
zu sorgen, dass Lehrer und Lehrerstunden zur Verfügung stehen, das dem
entsprechende Fortbildungsangebote genutzt, außerschulische Ressourcen erschlossen
werden, usw.
Für die Umsetzung entscheidend ist dann die Entwicklung eines Schulcurriculums.
Sowohl staatliche Vorgaben als auch die besonderen Bedingungen der Schule finden hierin ihren überprüfbaren Charakter.
Nur so wird die konkrete Umsetzung auch evaluierbar. Wie wir später noch sehen werden ist Schulprogrammentwicklung und Evaluation miteinander verbunden.
Unter Schulcurriculum wird die konkrete Umsetzung des Bildungsplanes und die zusätzlichen Ziele des Schule verstanden. |
2.2 Der U - Prozess
Beim U-Prozess - einem weiteren Verfahren zur Schulentwicklung - beginnt die Arbeit in der konkreten Situation. Es handelt sich also um ein "bottom-up- Vorgehen. Gehen wir die einzelnen Schritte an Hand des Schaubilds durch:
- Mit Hilfe einer Bestandsaufnahme werden einzelne Problemfelder
eingekreist. Dies führt z.B. mit einer Punkteabfrage dazu, dass am
Problem X gearbeitet wird.
Nun wird das Problemfeld näher beschrieben, das Kollegium beschäftigt sich mit den "mentalen Modellen", den Problembeschreibungen der einzelnen Personen und Gruppen.
Nach dem Motto: "Problem erkannt - Problem gebannt" erfolgt an vielen Schulen sofort die Problemlösung. Da oft dabei die alten, nicht funktionierenden "Lösungen" verwendet werden ( nach Watzlawik: "Mehr vom Gleichen!"), sind die "Lösungen nur sehr kurzlebig.
- Ist das Problem eindeutig definiert, erfolgt eine Analyse der Rahmenbedingungen:
" Das punktuelle Problem wird zum Problemraum" erweitert. Da
nun auch die Rahmenbedingungen in die Überlegungen mit einfließen,
erfolgt zugleich auch eine "Entpersonalisierung". Die Problemlösung
wird zur gemeinschaftlichen Aufgabe.
Viele ungeduldigen Schulen beenden bereits hier den Prozess nach dem Motto: "Wenn wir an den und den Schrauben drehen, (ein paar organisationelle Maßnahmen treffen), dann sind wir weiter.
- Leider genügt es oft nicht, nur die Organisation zu verändern, da
die in der Schule arbeitenden Menschen, ihre eigenen Wertvorstellungen
besitzen. Sind diese nicht mit der Lösung "kompatibel", wird die Reform
unterlaufen.
Im Sinne des "doople-loop- learnings" nach Argyris werden nur Lösungen einen Bestand haben, wenn Wertvorstellungen und persönliche Grundsätze geäußert und Wert geschätzt werden.
- Die Diskussion der Grundsätze und Wertvorstellungen ermöglicht
einen Konsens der an der Schule beteiligten Personen. Auch wenn nicht
alle den Konsens teilen, verpflichten sie sich zu mindest darauf, ihn
nicht zu unterlaufen. Dies ist die Vorbedingung zur Bestimmung des
Lösungsraumes.
Allgemeine Fragen zu diesem Komplex sind:
- Welche Grundsätze haben sich bewährt?
- Welche sind unwichtig geworden?
- Welche werden künftig wichtig?
- Was fehlt?
- Aus den bestehenden Wertvorstellungen, werden Vorstellungen entwickelt,
die für die ganze Schule gelten sollen. (Dies lässt sich
in etwa mit dem Leitbild und dem daraus abgeleiteten Schulprogramm
vergleichen).
- Jetzt erst sind Überlegungen zur Neugestaltung von Rahmenbedingungen
und organisationellen Maßnahmen sinnvoll. Der Lösungsraum wird
definiert.
- Die Umsetzung und Gestaltung bedarf wiederum der Mittel der kritischen Rückmeldung.
(Im Sinne des systemischen NLPs ist es nie sinnvoll die Lösung direkt
aus dem Problem oder innerhalb des Problemraums direkt zu betreiben,
da erstens das Problem "viel zu heiß" ist und zweitens
auch gar nicht die nötigen Ressourcen in diesem Zustand zur Verfügung
stehen. Erst nach einer "Abkühlungsphase, besteht die Freiheit,
sich mit einem Lösungsraum
näher auseinander zu setzen.)
3. Schulentwicklung und Unterrichtsqualität
Wenn wir den Sinn und Zweck von Schulentwicklung beurteilen wollen, so gilt es als Gegenutopie die "Schule der Einzelkämpfer" zu betrachten:
In diesem - häufig als "herkömmlich" bezeichneten Modell - ist die Lehrkraft nur gegenüber der eigenen Klasse verpflichtet:
- Als Klassenlehrkraft kümmert sie sich rührend oder sogar
aufopfernd um alle Belange "ihrer Schüler".
Zu den in der Klasse unterrichtenden Fachlehrern besteht oft bereits ein distanziertes - manchmal auch ein abwertendes Verhältnis.
Diese "bekommen in der Klasse keinen Boden unter den Füßen". - Zu anderen Klassen besteht manchmal Konkurrenz.
- Alle Arbeit, die nicht unmittelbar mit der Klasse zu tun hat, wird abgelehnt.
- Die Arbeit in Konferenzen wird nur als sinnvoll betrachtet, wenn sie der eigenen Klasse Vorteile verschafft.
- ...
Schulentwicklung setzt aber auf das gemeinsame Interesse aller am Schulleben beteiligter Menschen, so dass Stärken eingebunden und damit auch Schwächen minimiert werden. Nach dem Motto "Gemeinsam sind wir stark" haben viele Schulen schwierige Umstände durch Kooperation zu lösen vermocht. (Erinnern sie sich in diesem Zusammenhang auch die Aktionsprogramme zur Bewältigung von Unterrichtstörungen.)
Ein bewährtes Instrument zur Schulentwicklung bilden "Steuerungsgruppen". Sie bestehen aus allen Gruppierungen, der Schule und bereiten die einzelnen Teilschritte (s.oben) vor.
Damit Schule wirklich eine "neue Schulkultur entwickeln" kann, sind viele - sorgfältig vorbereitete Konferenzen, Pädagogische Tage notwendig. Dies führt zu einer gegenwärtig spürbaren zeitlichen Mehrbelastung. Die langfristigen Vorteile - Entlastung, Unterstützung, Beratung - werden leider oft nicht wahrgenommen, weil sie halt eben "nur versprochen sind".
Alle Schulentwicklung muss sich aber die Frage stellen lassen: "Ist die Qualität des Unterrichts besser geworden?"
Weil datenbasierte Untersuchungen auch dazu geeignet sind, Reformprogramme zu relativieren, sei noch kurz auf die Darstellung von Oelkers zur Schulentwicklung verwiesen: Wirksamkeit und Grenzen der Wirksamkeit von
Schulen:
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4. Eine Zusammenfassung
Literatur
Altrichter, H.; Schley, W &. Schratz (Hrsg.;1998): Handbuch zur Schulentwicklung.
Studienverlag
Bastian, J. (Hrsg.; 1998): Pädagogische
Schulentwicklung. Schulprogramm und Evaluation. Bergmann
+ Helbig
Klippert, H. (2000): Pädagogische
Schulentwicklung - Planungs- und Arbeitshilfen zur Förderung
einer neuen Lernkultur. Beltz Praxis
Oelkers, J. (2003): "Wie man
Schule entwickelt - Eine bildungspolitische Analyse nach Pisa. Beltz Taschenbuch
Philipp,E. (4. Auflage;1996): Gute Schule verwirklichen - Ein Arbeitsbuch mit
Methoden, Übungen und Beispielen der Organisationsentwicklung. Beltz
Philipp,E.; Rolff, H-G. (1998): Schulprogramme und Leitbilder
entwickeln - Ein Arbeitsbuch. Beltz
Schratz, M. (1996): Gemeinsam
Schule lebendig gestalten - Anregungen zu Schulentwicklung und didaktischer
Erneuerung. Beltz
Schratz,M &. Steiner-Löffler (1998): Die Lernende
Schule - Arbeitsbuch pädagogische
Schulentwicklung. Beltz
Artikel in Pädagogik
Lohre, W. &. a. (2000): Einzelschulen entwickeln sich gemeinsam. Auf dem Weg zu einer regionalen Schul- und Bildunglandschaft. In: Pädagogik 7-8; 2000; S. 10 ff.
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