1. Problemaufriss
Jeder von uns hat eine mehr oder minder klare Vorstellung von dem, was unter Leistung in Sport verstanden wird. Bei Physik erinnert man sich vielleich an bestimmte Formeln. Wenn sie nachdenken, finden sie meist eine Definition, die eine gemessene Dimension mit der zu messenden Zeit in Beziehung setzt: Z.B. wird Leistung als Arbeit geteilt durch die Zeit genannt oder ein Sportler legt eine bestimmte Strecke in möglichst kurzer Zeit zurück.
Doch was ist Leistung in der Schule? Der Frage gehen wir
in diesem Kapitel nach. Dazu klären wir zuerst den Begriff Leistung,
danach wenden wir uns der Leistungserfassung zu.
Weil Leistungsmessung
in erster Linie eine curriculare Funktion erfüllt - was auch die internationalen
Untersuchungen (TIMMS, PISA) in letzter Zeit wieder ins Bewusstsein gerufen
haben - ist die Leistungsbewertung - vor allem in der Form der Notengebung
im schulischen Alltag mit vielen verschiedenen Funktionen gleichzeitig
verbunden.
Sie soll den Schülern, Eltern, Kollegen, der Wirtschaft, ... möglichst
objektive Rückmeldung geben, anspornen, disziplinieren, motivieren,
diagnostizieren, ... Die Note soll also ein Werkzeug sein,mit dem sie Nägel
einschlagen, ziehen, sägen, bohren, ......
Im Kapitel "Zensuren" wird die die Unmöglichkeit, dies alles mit einer Ziffer auszudrücken, näher erläutert.
2. Schulische Leistung erkennen
In der Seminarveranstaltung näherten wir uns dem "schulischen Leistungsbegriff" an, in dem wir ein einfaches Modell aus der betrieblichen Organisationsentwicklung problematisierten:
Leistung entsteht
aus Können und Wissen
L = K x W |
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Es erschien als evident, dass leicht abfragbares "Wissen"
natürlich nicht allein den Inhalt der schulischen Leistung darstellen
kann.
Weil der zweite betrachtete Faktor "Können"
in den verschiedenen Erscheinungsformen auftreten kann - sie betonten z.
B. die Leistungen in Sport, der Kunst, aber auch in den anderen Fächern
- ist er als Faktor mit in die Leistungsmessung einzubeziehen. Naturgemäß ist
er aber schwerer als Wissen zu messen.
Wenn die "Leistungs - Situation" aber nicht nur
vom Lehrer als Leistungserfasser und - beurteiler abhängig sein soll,
muss den Schülern auch eine aktivere Rolle zugesprochen werden. In
dieser Hinsicht müssen dann Leistungssituationen auch so gestaltet
werden, dass die Schüler auch das zeigen dürfen,
was sie zu zeigen haben.
Gerade die "moderneren Leistungserfassungsmethoden" heben diesen
Aspekt besonders hervor.
Leistung entsteht
aus Können und Wissen und Dürfen
L = K x W x D
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Doch die Angelegenheit wird noch komplizierter, wenn das körperliche
und geistige Vermögen der Schüler in
Betracht gezogen werden. Je nach Schulart, Klassenstufe, Jahrgang, ... ändern
sich die "erfassten Leistungen" stark.
Die "gleichen Messgeräte" sind von uns immer wieder anzupassen.
Wird dann noch berücksichtigt, dass Leistung auch von inneren (z.B.
Wollen) und äußeren (z.B. den häuslichen Verhältnissen)
abhängen kann, ist man doch geneigt, kritisch allgemeine Leistungsaussagen
der Lehrer zu überprüfen.
Leistung entsteht aus Können, Wissen, Dürfen und Vermögen L = K x W x D x V
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Schon dieses einfach Modell zeigt, dass das Messen in der Schule viele Variablen berücksichtigen muss.
Ein Schüler hat manchmal sehr viel allein zu schleppen. Gemessen wird aber nur die geforderte Leistung in einer bestimmten Leistungssituation zu einer vom Lehrer bestimmten Zeit.: |
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Genaue Aussagen zur Leistung eines Schülers sind also nicht mit physikalischen gleich zu setzen. Zudem tritt bei Messungen schulischer Leistungen zusätzlich noch das Problem der Reaktivität auf:
Schüler stellen sich auf die Art der Meßinstrumente ein und passen sich an die gewünschten Formen an ("teaching to the test - learning for the test"). Gleichzeitig reagiert die Lehrkraft auf Schülerleistungen und Schülerverhalten und verändert ihrerseits wiederum die Messinstrumente. Wird nicht die Hilfe eines Außenstehenden in Betracht gezogen, kann es dann u.U vorkommen, dass die Lehrkraft über die Schülerleistungen genau Bescheid zu wissen glaubt, aber einer Täuschung unterliegt. (PISA zeigte, dass die diagnostische Kompetenz deutscher Lehrkräfte noch sehr stark verbesserungsbedürftig ist.)
Dieser Sachverhalt ist aber nicht nur auf die Lehrkraft beschränkt, die Schüler der Klasse und deren Eltern gewinnen ein falsches Bild von der Leistungsfähigkeit. Zentrale Abschlussprüfungen können dann sehr enttäuschende Ergebnisse liefern.
Methoden der Triangulation - die Einbeziehung einer Außensicht - gelten als Lösung für die oben geschilderte Problematik.
Methoden der Triangulation sind u.a.:
- Rückmeldungen der Eltern,
- Rückmeldungen des Schülers bzw. der Mitschüler,
- Rückmeldungen von anderen Lehrkräften,
- kollegiale Supervision (Intervision),
- Austausch von Arbeiten auf der gleichen Stufe,
- Erarbeitung und Evaluation eines Schulcurriculums,
- Erarbeitung von Korrekturschlüsseln und Überprüfung, ob sie auch eingehalten werden,
- das Heranziehen von Vergleichsstandards,
- Orientierung an objektivierten, standardisierten Leistungstests,
- Einsatz diagnostischer Leistungsverfahren,
- ...
Weil zum Messen immer Anhaltspunkte gebraucht werden, - "Wo ist die Messlatte anzulegen?" - werden traditionellerweise folgende Bezugsnormen in der Schule verwendet:
- Fähigkeitsunterschiede als Bezugsnorm:
Bei unterschiedlichen körperlicher Ausstattung sind Unterschiede in der sportlichen Leistung wahrscheinlich. Menschen mit ähnlichen Fähigkeiten lassen sich leichter in der Leistung vergleichen. Oft wird diese Bezugsnorm zur individuellen Bezugsnorm gezählt. - Individuelle Bezugsnorm:
Hier steht der Gedanke im Vordergrund, dass die Entwicklung einer Person der richtige Ansatzpunkt für eine gerechte Beurteilung ist. In einer Klasse ist es dabei möglich, dass objektiv gleiche Leistungen bei verschiedenen Schülern zu unterschiedlichen Bewertungen führt, da ein Schüler sehr große Leistungszuwächse zu verzeichnen hat, der andere u.U. in seinem Leistungsstand keine Zuwächse verzeichnet oder aber auch sich leicht verschlechterte. - Soziale Bezugsnorm:
In einer nach organisatorischen Gesichtspunkten zusammengesetzten Klasse werden die Leistungsunterschiede im Gruppenvergleich gewonnen.
Auch hier gibt es keine "objektive Messung", da eine Klasse in einem Jahr "gut", eine andere im nächsten Jahr in der gleichen Stufe "schlecht" sein kann. "Doch lassen sich mit dieser Methode die dauerhaft "Besten" in einer Klasse erkennen". Bei den Schülern erzeugt diese Norm häufig "Motivation". - Sachliche Bezugsnorm:
" Sachliche Bezugsnormen werden überall dort verwandt, wo bestimmte Mindestkompetenzen, insbesondere wegen gravierender Folgen erreicht sein müssen und wo sich solche Mindestkompetenzen messen lassen." (Falko Rheinberg in Weinert 2002, S.66) Der Bildungsplan wäre hier der Bezug.
Gewöhnlich kommen die Schüler mit allen Bezugsnormen zurecht, wenn sie transparent und konsequent verwendet werden. Schüler können auch die Lehrer nach Art der "gelebten" Norm einschätzen und sie passen sich in ihrem Verhalten entsprechend an.
Zum Überlegen:Überprüfen Sie bei sich, welche Art der Orientierung Sie bei der Leistungsmessung bevorzugen. Welche Schwierigkeiten, unguten Gefühle, ... entstehen bei Ihnen, wenn Sie diese Art der Leistungsmessung auf "besondere" Schüler anwenden? Beachten Sie dabei, dass die strukturelle Probleme bei der Konstruktion der Leistungsbeurteilung auch Auswirkung auf Sie als Lehrkraft besitzen. |
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3. Leistung erfassen
Im Bildungsplan z.B. der Grundschule werden Ziele in den Bereichen Einstellungen, Fähigkeiten und Kenntnissen formuliert. Diese drei Bereiche stehen gleichwertig nebeneinander und durchdringen sich. Wenn Leistungen erfasst werden sollen, dann sind auch Instrumente für diese drei Bereiche zu entwickeln.
Obwohl H. von Hentig (a.a.O. S. 10) einräumt, dass Einstellungen "... nicht abprüfbar, nicht irgendwann als "erreicht" ... ( wie die Kompetenzen) abzubuchen ..." sind, sind sie keineswegs einer " ... systematischen Pflege, Übung und Bewusstmachung ..." entzogen.
In anderer Form werden diese zu entwickelnden Einstellungen unter dem Sammelbegriff der Personal- und Sozialkompetenz durchaus aber doch zeugnisrelevant.
Für den unterrichtlichen Alltag empfehle ich Ihnen
dringend zwischen Lern- und Leistungssituationen zu unterscheiden:
Innerhalb von Lernsituationen sind
"Fehler Freunde". Die Schüler
dürfen Fehler machen, ja Fehler bieten geradezu Gesprächsanlässe,
um z.B. die individuelle Präkonzepte zu erkennen, zu erfassen und
sie zu problematisieren.
In Leistungssituationen dagegen, kommt es auf die richtige
Darstellung, das Problemlösen, ... an. Eine permanente Beobachtung
des Lernprozesses (etwa gefordert von Felix Winter, 2004) im Sinne einer
Leistungserfassung - nicht der Diagnostik - führt häufig dazu,
dass der Lernprozess von den Schülern als bedrohlich eingestuft wird.
Ein Grund schulisches Lernen zu vermeiden ist entstanden.
Schülerleistungen - in Noten ausgedrückt - sind das Ergebnis eines langen Lernprozesses und oft auch Leistungsprozesses: neuer Lernstoff wird erarbeitet, verarbeitet, gespeichert, auf Anfrage abgerufen und gegebenenfalls auf neue Sachverhalte angewendet. Häufig wird dabei vergessen, dass die Leistung nicht nur von der Lernkompetenz des Schülers sondern auch von der Lehrkompetenz des Unterrichtenden und vom Lernumfeld abhängig ist.
"Dennoch wird das Endprodukt der einzelnen Lern- und Teilleistungsprozesse in der Regel dem Schüler als individuelle Schulleistung mehr oder weniger ausschließlich zugeschrieben. Von Leistung kann deshalb gesprochen werden, weil Gütemaßstäbe vorliegen, mit denen die Durchführung der einzelnen geistigen Aktivitäten wie auch das Endprodukt als mehr oder weniger gelungen bewertet werden kann."
In den Fachdidaktiken werden Sie über die entsprechenden Grundsätze der Leistungserfassung bei Kompetenzen und Kenntnissen sicher mehr erfahren.
5. Wenn Lehrende einen hohen Leistungsbegriff haben und originelle, abweichende, nicht geplante Lösungen anerkennen (und diese zur geplanten Lösung in Beziehung zu setzen vermögen) ist das Ausweis ihrer Sachkenntnis mehr als ihrer Lässlichkeit. |
Die Besprechung einzelner Leistungserfassungsinstrumente finden Sie unter dem Reiter Unterricht.
4. Leistungen erfassen - für was?
Die Erfassung der manifesten Leistung in der Schule kann neben der Notengebung, u.a. auch der Analyse des Unterrichtsgeschehens und damit einer Diagnostik des Lehr- und Lernprozesses dienen. In diesem Sinne ist Schulleistung das Ergebnis eines Lernprozesses, damit nicht als stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu betrachten. Eine Begründung von Notenverteilungen mit Hilfe der Normalverteilung (die Normalverteilung gilt für zufällige verteilte Merkmale) ist in dieser Betrachtungsweise nicht zulässig.
Aus Sicht der Differentialpsychologie zeigt
sich, dass Trotz der Absicht der Lehrkräfte, Leistungsunterschiede
in einer Klasse zu verringern, die Unterschiede zwischen den Schülern
beträchtlich und auch relativ stabil sind. Für sie ist deshalb
Schulleistung ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Sie
zeigt das Leistungspotenzial eines Schülers, einer Schülerin.
Das Leistungspotenzial besteht aus den empirisch nachgewiesenen Faktorenbündeln
der allgemeinen Lernkapazität und dem der sozialen
Angepasstheit. Nicht angepasste Schüler (Schulschwänzer,
...) etwa, zeigen trotz vorhandener Kapazität, keine Schulleistung.
In diesem Sinne definierte Schulleistung ist mit der Hilfe formeller, standardisierter
Schulleistungstests (z.B. Rechtschreib- und Lesetests, Rechentests, PSB,
...) normorientiert ( Altersstufe, Schulart, Geschlecht, ...) objektiv überprüfbar.
Begriffsklärung zur Testtheorie:
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Sorgfältig gestaltete informelle Tests (norm- und kriteriumsorientierte) dienen dagegen stärker der Lernsteuerung.
Zusammenfassend lassen sich folgende Funktionen der Leistungsmessung unterscheiden:
- didaktische Funktion: Die Schulleistungsmessung dient der Optimierung des Unterrichtes.
- Sie besitzt Rückmeldefunktionen und dient der Entwicklung individueller Fördermaßnahmen. Sie dient der (Schüler-/Lehrer-) Selbstevaluation. Objektivierte Verfahren können bei der Triangulation helfen.
- Entscheidungsfunktion: Zur Schullaufbahnberatung werden objektive Verfahren eingesetzt.
Zum Überlegen:Neben diesen oft gehörten pädagogischen Argumenten sollte jedoch keinesfalls vergessen werden, dass Leistungserfassung und -bewertung strukturalistisch betrachtet, auch die Aufgabe besitzt, Schüler auf die "Lebenswelt" nach der Schule vorzubereiten oder anzupassen, wie dies die Kritiker der "Schwarzen Pädagogik" der "Staatsschule" vorwerfen. |
Standardisierter Messinstrumente zeigen Ihre Nützlichkeit, da Lehrer in ihren Urteilen systematischen Fehlern unterworfen sind. u.a. sind dies:
- Schätzurteilfehler
- Hofeffekt (Haloeffekt) - Ausstrahlung von guten Ergebnissen in einem Bereich auf andere Bereiche,
- Erwartungseffekte, die durch persönliche Vorlieben oder Abneigungen, sozialen Vorurteilen, ... geprägt sind,
- sich selbst erfüllende Prophezeiungen - Pygmalioneffekt
- geschlechtstypische Erwartungen
- ethnische Vorurteile
- Referenzrahmeneffekte. Innerhalb einer Schule, eines Landes werden
"falsche" Maßstäbe verwendet.
In der Klasse werden zu niedrige/ zu hohe Leistungen gefordert. Auf nationaler Ebene zeigen z.B. die internationalen Studien, dass in Deutschland die frühe Selektion stärker die Schichtzugehörigkeit als die Leistungsfähigkeit berücksichtigt. - Objektiv nicht zu rechtfertigende Bewertungsunterschiede
Zum Überlegen! Wie müßte eine Leistungsmessung aussehen, damit auch der Schüler seine Chance wahr nehmen kann?
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Literaturhinweis:
Grunder, H-U. &. Bohl, Th. (Hrsg.; 2001): Neue Formen der Leistungsbeurteilung in den Sekundarstufen I und II. Schneider Verlag
Weinert, F.E. (Hrsg.; 2. Auflage 2002): Leistungsmessungen in Schulen. Beltz Pädagogik
Winter, F; von der Groeben, A. &. Lenzen, K.-D. (Hrsg.; 2002): Leistung sehen, fördern, werten. Klinkhardt