
Inhalt:
- Problemaufriss: "Mal sehen, ob der Typ echt ist ...."
- Quellen zu: Der Lehrer als Erzieher
- Heinrich Geißler: Der Lehrer: Lehrerrolle, Rollenvielfalt, Rollenkonflikt
- Christian Caselmann: Wesensformen des Lehrers
- Arno Combe: Kritik der Lehrerrolle
- Otto Friedrich Bollnow: Über die Tugend des Erziehers
- Eduard Spranger: Der geborene Erzieher
- Bauer, Kopka &. Brindt: Pädagogische Professionalität und Lehrerarbeit
- Hermann Giesecke: Das Ende der Erziehung
- Rainer Winkel: Die Persönlichkeit des Lehrers
- Hans Christian Thalmann: Den Schulalltag bestehen.
- Reinhard Tausch &. Anne-Marie Tausch : Wesentliche Verhaltensdimensionen von Lehrern, Dozenten, Erziehern in Erziehung und Unterricht
- Kurt Lewin: Die Lösung sozialer Konflikte
- Die Geschichte von Hans Hefeteig
1. Problemaufriss: „Mal sehen, ob der Typ echt ist ...“
Vom Dialog zwischen Leerkörpern und tobendem Leben
18 Monate Referendariat liegen hinter mir - Szenen einer Verschulung? Innehalten an einem nebligen Winterwochenende.
"Am Glanz der Augen mißt man das Maß der Freiheit und die Tiefe der Kultur bei einem guten Arbeiter, der es verdient, als guter Erzieher gekennzeichnet zu werden ", hat ein alter Schafhirte vor vielen Jahren mal zu dem französischen Volksschullehrer Freinet [1] gesagt.
Am Glanz der Augen? Müde war ich anfangs oft in diesem Referendariat: todmüde, müde aus Verdrängung - manchmal nach 2 Stunden Schule so kaputt wie früher nach 8 Stunden auf dem Bau während der Semesterferien.
Nach dem ersten Schulwechsel dann der emotionale Durchbruch: ermutigende
Begegnungen mit älteren Kollegen, die ihre Träume von "menschlicherer
Schule" auch nach 10 oder 20 Dienstjahren noch partisanenhaft verfolgend
... mit "Sonder"-Schülern, die - ihrem offiziell verliehenen Etikett "verhaltensgestört" zum
Trotz - ihre zutiefst menschliche Sehnsucht nach Anerkennung und Selbstachtung
mit einem verzweifelten Stolz verteidigten, dessen Intensität die eigentliche "Gestörtheit" ihrer
Wohn-, Familien- oder Schul- "Verhältnisse" nur erahnen ließ.
Dieses "tobende Leben" in der Schule [3],
das mich bald wie ein Sog erfaßte und unerwartete Energien freisetzte,
erschien mir jedoch von Anfang an als etwas Subversives etwas, das den geplanten
Strukturen von Schule konträr entgegenstand. Diese geplanten
Strukturen begegneten mir in Lernzielbestimmungen, didaktischen Analysen,
Motivationsformeln und minutiösen Unterrichtsvorbereitungen - häufig
nichts weiter als hilflose Versuche, menschliche Begegnungen im Klassenzimmer
- wenn schon nicht zu verstehen - so doch wenigstens zu beherrschen.
,Aus der Trennung von Lernenden und Lehrenden entsteht Unmenschlichkeit" [4] , hat der brasilianische Volkspädagoge Paulo Freire mal gesagt. Diesen Entstehungsprozeß sollten wir uns bewußtmachen, auch wenn wir uns erst im Stadium der zivilisierten Sprachlosigkeit befinden.
Dabei geht es mir am allerwenigsten darum, eine neue kommunikative Technik
zu entwerfen. Mir geht es vielmehr um die Entwicklung eines Bewußtseins,
das mir in meinem widersprüchlichen Alltag auch dort hilft, wo der widerspruchsfreie
Erklärungswert mancher Gesellschaftsanalyse, pädagogischer Theorie
oder kultusministerieller Lehrplanbestimmung endet. Wo beispielsweise
Informationen über die Sozialisationsbedingtheit der besonderen Äußerungsformen
meiner Schüler genausowenig Nähe herstellen wie "Der Schüler
soll ..." - Lernzielformulierungen. Über so einen Prozeß des
Nähe-Herstellens als einem spannenden Dialog zwischen Schülern
wie zwischen Lehrern und Schülern will ich nachdenken und dabei verstehen
lernen, welche konkreten Bedingungen im Raum Schule bislang eher ohnmächtiges
Anbiedern oder autoritäres Befehlen begünstigen.
Während meiner universitären Lehrerausbildung bin ich trainiert
worden, Schüler zu sezieren - prozentuales Leistungsgefälle, Intelligenzquotient,
Analphabetenquote. Dies hat zwei nachteilige Konsequenzen: erstens
verliere ich aufgrund des universitären Scheinengagements für die
benachteiligten Schüler manche Zugänge zu meiner eigenen, lebensgeschichtlich
gewachsenen Freude an der Arbeit mit Kindern - zum zweiten besteht zunehmend
die Gefahr, selber zum Analphabeten zu werden, was das alltägliche Verständnis
für die Sprache meiner Schüler angeht.
“Distance all over.”
Im Referendariat wird dieser Ansatz, für die Schüler zu denken
(und nicht etwa mit ihnen) "praxisnah" ausgebaut:
Wie kann ich die Schüler für meinen Unterricht "motivieren"? Wie
kann ich die Schüler von "ihrem Besten" überzeugen? Wieso
wehren sich die Schüler so nachhaltig, dieses für sie "Beste" anzunehmen? Welche
Anmaßung in so einem Denken steckt, wird nicht etwa durch die Umkehrung
deutlich: Es ist natürlich nicht sinnlos, sich viel Mühe zu geben,
um einen möglichst lebendigen Unterricht zu machen oder gar über
die Interessen der Schüler nachzudenken.
Die Unmenschlichkeit besteht in der Unfähigkeit, sich über diese
Gedanken mit den Betroffenen auszutauschen - unmenschlich für Schüler
wie für Lehrer gleichermaßen. Weil beide sich nicht wahrgenommen
fühlen, weil beide ihre positiven Ansätze abgelehnt fühlen,
weil beide nicht in der Lage sind, ihre unterschiedlichen Interessen so darzustellen,
daß der andere damit etwas anfangen kann:
Was sagt uns denn schon das manchmal stundenlange Bankgekritzel unserer Schüler,
ihre "Zombi"- und sonstigen Horrorphantasien, ihr Eindrücken
von Fensterscheiben in der Pause, einfach so?
Oder andererseits ihre große Ernsthaftigkeit bei tatsächlichen
Problemen (ein Mitschüler ist von zu Hause ausgerissen) oder im Umgang
mit "echten" Dingen (die Reparatur eines alten Transistorradios)?
Wenn Lehrer berichten, daß Schüler bei ersten ernstgemeinten
Nachfragen mit Sprüchen wie , Kein Bock zu gar nichts!" antworten,
dann sagt dies mehr über gegenseitigem Mißtrauen aus als über
die tatsächliche Unkenntnis der eigenen Bedürfnisse.
Zum Mißtrauen besteht schließlich auch Grund genug: Unsere vorsichtigen,
menschenfreundlichen Gesten ändern nämlich erstmal grundsätzlich
nichts an den hierarchischen Strukturen von Schule, die Schüler einteilen
in gute und schlechte Menschen, in eine "3-Klassen-Gesellschaft" (oder
4-Klassen, wenn man die schon fast aus dem Bewußtsein verdrängten
Sonderschulen mitzählt) und die dadurch an zehn- und e1fjährige
Kinder häufig nie mehr korrigierbare Berufs- und Lebenschancen verteilen.
Wir müssen also gleichermaßen mehr und weniger tun: Es reicht
nicht, in unserer Sprache Schülerinteressen hinterfragen zu wollen,
ohne den Schülern gleichzeitig unsere Lehrerinteressen mitzuteilen. Und
die sind in der alltäglichen Begegnung auch beim engagiertesten Lehrer
nicht durchgängig die gleichen wie die der Schüler – können
es faktisch in unserer Schulhierarchie nicht sein. Die aktuelle Vermittlung
eigener Bedürfnisse auf faire Weise (halt so, wie ich es mir von meinen
Schülern auch wünsche) ist im widersprüchlichen Alltag jedenfalls
fundamentaler als eine solidarische Perspektive mit der Arbeiterschaft im
allgemeinen.
Weniger tun sollte man dagegen bei der zunehmenden Pseudo-Verwissenschaftlichung unserer Lehrerrolle: Es gibt nicht jenen verhaltenstherapeutisch geschulten, ewig freundlich bleibenden Lehrerprototyp, den anzustreben den meisten Erfolg im Unterricht sichert.
Lehrer dürfen wie Schüler auch mal "stinksauer" sein, wenn ihnen danach zumute ist; sie dürfen auch ihre Begeisterungen und Enttäuschungen haben und vor allem: sie dürfen auch manchmal Schüler sein - Fragen stellen, nichts verstehen, eine Woche nachgrübeln und dann mit neuem Mut probieren.
Während meines Referendariats habe ich die Sehnsucht der Schüler nach echten menschlichen Begegnungen zu spüren bekommen und gleichzeitig: daß es aus dem Dickicht der beschriebenen zivilisierten Sprachlosigkeit keine Asphaltstraße hinaus gibt, sondern nur einen gemeinsam erarbeiteten Weg - gebaut aus den Möglichkeiten, die dieser Dschungel uns bietet.
Bei diesem Prozeß ergeben sich zahlreiche Situationen, für die keine didaktische Analyse Hilfestellung gibt, sondern die Stück für Stück erfahren werden müssen:
- Als wir einmal gemeinsam ein Fußballtor reparierten, das Jürgen aus Wut absichtlich zertrümmert hatte und Tommi, der bis dahin noch kein Wort im Unterricht geredet hatte, beim Dröhnen der Holzsägemaschine das erste Mal von zu Hause erzählte;
- als die Schüler sich auf einer Klassenreise gegenüber einer anderen Mädchengruppe als Sportverein ausgaben, um nicht als Sonderschüler ausgelacht zu werden und mir mit Zublinzeln zu verstehen gaben, doch bitte in diesem Moment mitzuspielen;
- als die Schüler nach einigen Stunden spannenden Projektunterrichts in ihrem Ärger über die zwangsweise Rückkehr zu "stinknormalem" Englischunterricht mit Pronomenübungen "Terror" machten, durch die Klasse rotzten und mit Büchern warfen und schließlich einen explodierenden Referendaren erlebten, der nicht mehr über Wert und Unwert des Unterrichts streiten wollte, sondern in hilflos-schreiender Wut seine Menschenwürde verteidigte. Schülerkommentar in einem guten Gespräch am nächsten Tag: , Wir wollten nur mal sehen, ob du echt bist!'
- als ...
Wenn ich anfange, meinen Alltag anders zu sehen, dann gelingt es zunehmend, die dahinterstehenden Bedürfnisse zu übersetzen: "Können wir uns in dieser anonymen Welt auf dich verlassen? Hältst du dich an das, was du uns versprichst und bist in der Lage, dies auch gegen widerstreitende Meinungen in der Klasse durchzusetzen (im Guten wie im Bösen) ? Stehst du bei Konflikten mit Dritten auf unserer Seite, auch wenn wir diejenigen waren, die ‚Scheiß gebaut‘ haben? Bist du ansprechbar für uns und bemühst dich auch darum, uns zu verstehen?'
Diesen Prozeß als Übersetzungsvorgang zu begreifen und nicht als schlichte Übertragung, wäre jedenfalls schon ein erster Schritt. Es ist dies letztlich nichts anderes als das, was wir uns auch in anderen menschlichen Begegnungen wünschen: trotz verschiedener Lebensgeschichten sich doch zu verstehen und dies gerade dadurch, daß die andere Lebensgeschichte auch als solche geachtet und anerkannt wird - soziale Verantwortung und Selbstbestimmung.
Noch einmal zurück zu unseren Lehrerinteressen: Ich fürchte, daß da
noch mehr diffuse Unbehaglichkeiten und Verdrängungen bestehen als bei
unseren Schülern. Während jene doch ab und zu noch zu solidarischen
Aktionen in der Lage sind (seien sie auch gegen die Pauker gerichtet), haben
erschreckend viele Kollegen ihre Einzelkämpferrolle akzeptiert.
Es ist doch realiter nicht nur unser selbstloser Wunsch: " Du sollst
das jetzt als Schüler lernen, weil das gut für dich ist!",
sondern davor stehen unsere nicht bewußt angenommenen eigenen Bedürfnisse: "Ich
möchte als Lehrer auch das Gefühl haben, etwas zu können und
Anerkennung bekommen! ". . . und erst dann kann ich dich auch
als Schüler annehmen: "Ich will was mit dir entdecken, ich will
dich stärker machen und dabei auch mich selber entwickeln!'
Es sind doch nicht zuerst die Papierfetzen und Apfelsinenschalen, die manche
Klasse so unbehaglich machen, sondern die kasernierte Sterilität, das
pflegeleichte und abwaschbare, jedoch absolut nicht gestaltbare Mobiliar,
die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten für Schüler wie Lehrer.
Und die Versuchung, sich in einem Käfig gegenseitig zu zerfleischen
ist naturgemäß groß.
Was müßte sich in meinem Klassenraum ändern, damit ich mich
freuen kann, wenn ich morgens herein komme? Welche räumlichen
Möglichkeiten sind Voraussetzung, um nicht jedes "Unruhigsein" der
Schüler, jede ungeplante Situation als drohendes Chaos zu empfinden?
Wie muß sich mein Zeitbewußtsein ändern, um Zeit nicht mehr
nur als technische 45-Minuten-Einheit zu begreifen, sondern als anarchisch-lebendiges
Vor- und Zurück , als bunte Vielfalt eigenständiger Persönlichkeiten,
als widersprüchliche Entwicklung, in der ich, weil ich um meinen Platz
in diesem Prozeß weiß, Zeit verschwenden darf, um wirkliches
Verstehen zu gewinnen?
Wollen wir "gute Arbeiter" werden, die es verdienen, als gute Erzieher
gekennzeichnet zu werden, so benötigen wir gutes Handwerkszeug: Wir
sollten erst mal dazu stehen, daß die wenigsten von uns während
der Ausbildung etwas vermittelt bekommen haben, das dazu taugt, Kinder zu
begeistern, etwas Schönes selber zu machen, Kinder auch selbstbestimmt
arbeiten lassen zu können, ohne jeden Überblick zu verlieren.
Um so mehr sollten wir uns bemühen, die wenigen bisher existierenden Versuche alternativer Schulen oder alternativen Projekte in traditionellen Schulen kennenzulernen, ihre methodischen Ansätze (von Freinets Drucktechniken bis zu Montessori-Materialien) zu überprüfen und gegebenenfalls in unserer Schulwirklichkeit auszuprobieren. Je konkreter wir unsere Arbeitsweisen und Lernzusammenhänge uns dabei gegenseitig vermitteln, desto stärker wird auch das Zutrauen vieler Kollegen werden, sich auch "Handwerkszeug" zuzulegen, ohne vorher mehrere Grundkurse in theoretischer Schulung über sich ergehen lassen zu müssen. In selbstbestimmten Lernprozessen (egal ob bei Schülern oder Lehrern) wächst die Theorie ohnehin mit der Praxis und nicht in abstrakter Isoliertheit.
" Verlaßt die Kanzel und nehmt das Werkzeug", schloß der französische Schafhirte seine Rede an Célestin Freinet. Ihr Lehrer seid mehr als andere durch die formellen Anforderungen eures Berufes geprägt. Jede Aufgabe, die ihr korrigiert, jeder Strich mit roter Tinte, jede Lektion, die ihr wiederholt ... jede großzügig verteilte Strafe gräbt in euch ihre unauslöschbare Spur.
Verlaßt die Kanzel und nehmt das Werkzeug! Seid alles zugleich. Arbeiter, Gärtner, Techniker, Spielleiter und Dichter, lernt wieder zu lachen und zu fühlen.
Literaturhinweis:
[1] Freinet, Célestin: Pädagogische Texte, Reinbek 1980, S. 24; ein spannendes Buch mit vielen aktuellen Beispielen aus der Arbeit nach Freinet.
[2] Vgl. auch: Düsterbeck, Harald/ van Dick, Lutz: "Eigentlich hätte ich schon Bock, das zu begreifen. Erfahrungen mit dem Lernwillen von "Problemschülern" der Hauptschule in einem sonderpädagogischen Integrationsprojekt; in: Westermanns Pädagogische Beiträge 12/ 1980, S. 494-500.
[3]Dieses Zitat ist dem sehr "alltagsbewußten" Buch von Hildburg Kagerer entnommen: In der Schule tobt das Leben - Eine 10. Hauptschulklasse und ihre Lehrerin machen sich zum Thema, Berlin 1978.
[4]Aktuelle Hintergrundinformationen hierzu in: Freire, Paulo: Dialog als Prinzip. Wuppertal 1980.
2. Quellen zu: Der Lehrer als Erzieher
1. Quelle :Johann Amos COMENIUS (1592 - 1670)
Pampaedia (hrsg. und übers. v. J. Tschizewskis, Heidelberg
1960, S. 171) :
„Auf drei Voraussetzungen muß man bei der Wahl des
wahren Lehrers des Ganzen sorgfältig achten :
- Jeder soll so sein, wie seine Schüler werden sollen.
- Er soll die Kunst beherrschen, sie so machen zu können, und
- soll er eifrig am Werke sein.“
....
Zur Erläuterung der ersten Voraussetzung heißt es : „Diese
Menschenbildner (formatores hominum) sollen also besonders erlesene (selectissimi)
Menschen sein... Wie sie wünschen wir uns das Volk der Endzeit : erleuchtet,
friedvoll, gläubig, heilig...“
Zur Erläuterung der zweiten Voraussetzung heißt es : „Um erfolgreich wirken zu können, müssen diese Lehrer
- Alle Aufgaben und Ziele ihres Berufes (vocatio) kennen,
- alle Mittel die dazu nötig sind, und
- die ganze Mannigfaltigkeit der Methoden (methodi).“
2. Quelle: Wilhelm DILTHEY (1833 - 1911):
Grundlinien eines Systems der Pädagogik, Leipzig 1934, S. 201 f.
- „Wir verstehen einen Menschen nur, indem wir mit ihm fühlen...; wir verstehen nur durch die Liebe. Und gerade einem unentwickelten Leben müssen wir uns annähern durch die Kunst der Liebe... Alles Raisonnement tritt nur als sekundär hinzu.“
- „Es ergibt sich also ein zweiter Grundzug, welchen mit dem ersten eng zusammenhängt, daß eine ungebrochene Naivität im Grunde der Seele den Erzieher dem Kinde annähert.“
- „...bemerkt man bei dem pädagogischen Genie ein Sinnen über Seelenleben, das so lebendig, so voll Realitätssinn ist...“
- „Ebenso ursprünglich ist im pädagogischen Genius grübelnde Empfindsamkeit in Bezug auf die Gestaltung der Seele, auf Mitteilung, auf Methode auf Unterricht.“
- „Der Genius ist selten, wie überall, so in der Erziehung.“
- „Auch untergeordnete Köpfe können an der Durchbildung... mitarbeiten; der tüchtige, herzliche, kinderliebe treue Mensch kann... mithelfen, mittun.“
3. Quelle: Georg KERSCHENSTEINER (1854 - 1932):
Die Seele des Erziehers und das Problem der Lehrerbildung, Berlin, 1930, S. 48 f.
- „Der Erzieher ist eine im geistigen Dienste der Gemeinschaft stehende Lebensform des sozialen Grundtypus, der aus reiner Neigung zum werdenden, unmündigen Menschen als einem eigenartigen Träger zeitloser Werte, dessen seelische Gestaltung nach Maßgabe seiner besonderen Bildsamkeit in dauernder Bestimmtheit zu beeinflussen imstande ist und in der Bestätigung dieser Neigung ihre höchste Befriedigung findet.“
4. Quelle: Klaus W. DÖRING:
Lehrerverhalten und Lehrerberuf. Zur Professionalisierung erzieherischen Verhaltens, Weinheim, 1970, S. 10
- „Der ‘privatistischen’ Interpretation von Erzieherverhalten oder ‘Erziehungsstil’ im Sinne einer an der Lehrerindividualität sich einseitig orientierenden Erziehungspraxis wird eine intrumentalistische entgegengesetzt, die sich an der Zweck - Mittel - Korrelation orientiert und Erziehungsverhalten mehr im Sinne von Erziehungstechnik verstanden wissen will. Dahinter steht das Berufsbild eines Lehrers, der sich als Erziehungsspezialist begreift, welcher spezielle Aufgaben mit Hilfe eines differenzierten Instrumentariums pädagogischer Hilfsmittel möglichst optimal zu lösen hat.“
Arbeitsaufgaben:
- Arbeiten Sie innerhalb ihrer Gruppen heraus, welche Vorstellungen die einzelnen Autoren jeweils von der Lehrerpersönlichkeit haben. Bearbeiten Sie dazu nach Absprache zwischen den Gruppen jeweils zwei Texte pro Gruppe und zwar: Nach Wahl eine der Quellen 1, 2, oder 3 und dazu obligatorisch die Quelle 4.
- Überlegen Sie, welche Vorstellungen von Lehrerpersönlichkeit
Sie nach Ihrem eigenen Verständnis einer Erzieherpersönlichkeit
bei den vorgezeigten Quellen mittragen könnten und welche nicht.
Begründen Sie Ihre Auswahl. - Belegen Sie Ihre nach Arbeitsaufgabe 2 getroffene Auswahl durch Beispiele aus Ihrer Praxis.
3. Geißler: Der Lehrer - Lehrerrolle, Rollenvielfalt, Rollenkonflikt
1) Wie versteht sich ein Lehrer?
- Ist er ein Beauftragter des Staates und an dessen Weisungen gebunden?
- Ist er, in der Schule als einem „Subsystem der Gesellschaft“ tätig, mit deren Regeneration beschäftigt?
- Handelt er im Auftrag der Eltern, deren Erziehungsrecht im Rahmen institutionalisierter Lehre weiterführend?
- Wirkt er als Anwalt des Kindes gegenüber staatlichen Belangen wie auch gegenüber mißverstandenen elterlichen Erziehungsansprüchen?
- Ist er, als Fachlehrer in einem speziellen Bereich wissenschaftlich ausgebildet, Hüter der Tradition und auf deren exakte Weitergabe aus?
- Soll er Weichensteller der Zukunft sein, damit die „Utopie“ eines besseren Lebens, eines „neuen Menschen“ in einer „neuen Gesellschaft“ über Erziehung in der nächsten Genration Wirklichkeit wird?
Diese Fragen sind, selbst wenn die eine oder andere heute wieder besonders
populär geworden ist, allesamt alt (1). Teils wurden sie explizit in
heftigen Entgegensetzungen diskutiert, teils fanden sie mehr eine implizite
Behandlung. Dabei kam es mitunter zu bemerkenswerten Gegensätzen. So
hing beispielsweise das bekannte Bild Pestalozzis in Stans. Beispiel des
Lehrers als Anwalt des Kindes, jahrzehntelang in sehr vielen Schulklassen,
doch wohl als Aufforderung an die Lehrer, es diesem Vorbild gleichzutun.
Zur selben Zeit war indes die Schulgesetzgebung im wesentlichen darauf ausgerichtet,
im Lehrer einen Beauftragten des Staates zu sehen und ihn sehr eng an Reglementierungen
zu binden. Oder ein anderes Beispiel: Die Lehrplanentwicklung der höheren
Schule im letzten Jahrhundert hatte, im deutlichen Gegensatz zu Humboldts Konzeption, der Vermittlung von Tradition den Vorzug gegeben. Dem war durch
die Reformpädagogik, durch Nietzsches Schulkritik angestachelt, das
Eigenrecht des Kindes entgegengehalten worden. Oder: Während bei uns
die Elternrechtsdiskussion stark im Deklamatorischen blieb, hat die ganz
anders geartete angloamerikanische Schulorganisation Lehreranstellung wie
Lehrerentlassung stets als ein direktes demokratisches Verfahren interpretiert
(Schulgemeinde) und damit dem elterlichen Mitspracherecht umfangreiche Wirkungsmöglichkeiten
eingeräumt. Schließlich: Selbst in den verschiedenen Schulformen
haben sich divergierende Auffassungen über den Lehrer und seine Aufgabe
niedergeschlagen. So lag das besondere Pathos des ehemaligen Volksschullehrers,
bei aller organisatorischen Einschränkung der Möglichkeiten, vornehmlich
in einer Förderung der Schüler, weniger in der Auslese. Dagegen
war der Gymnasiallehrer von seinem Selbstverständnis her viel deutlicher
auf Auslese ausgerichtet, nämlich jene Schüler auszuwählen,
die sich im Umgang mit wissenschaftlichen Inhalten bewährten. In der
Literatur war es deshalb üblich geworden, den pädagogisch besonders
qualifizierten Lehrer mehr im Bereich der Volksschule anzusiedeln - man vergleiche
die einschlägigen Schriften aus der Zeit der Reformpädagogik über
den „geborenen Erzieher“ (2) oder „die Seele des Erziehers“ -,
den Gymnasiallehrer dagegen mehr in die Nähe eines Professors zu rücken,
der zuerst der Wissenschaft verpflichtet ist. Die Landerziehungsheimbewegung
(3) hatte diese Trennung aufzuheben versucht und war bemüht, auch in
weiterführenden Schulen den Erziehungsaspekt stärker hervorzuheben.
Diese Diskussion über das Selbstverständnis des Lehrers ist heute
noch längst nicht abgeschlossen. Sie wurde indes teils zurückgedrängt,
teils vergessen, besonders aber überlagert durch eine Diskussion, die
zunächst einmal gar nicht genuin pädagogischer Natur ist, sondern
soziologischer, nicht nur auf die Situation des Lehrers zutrifft, sondern
für alle Berufe. Das ist die Diskussion um Begriff und Sache „Rolle“ (4),
und die Behauptung, wir seien eine „Rollengesellschaft“.
3)Übertragen wir die Grundbezüge des Rollenkonzeptes auf die „Lehrerrolle“ (5), so zeigt sich sofort, daß der Lehrer innerhalb eines mehrteiligen Geflechts von Bezugsgruppen steht, die unterschiedliche Erwartungen an ihn haben:
- der Staat als einstellende Behörde, der ihn besoldet, ins Beamtenverhältnis bringt, ihn in eine Schulstelle einweist oder versetzen kann, seine Amtsführung beaufsichtigt, ihm Lehrpläne vorlegt;
- die Eltern, nach dem Grundgesetz die eigentlichen Erziehungsträger;
- sogenannte „Abnehmergruppen“ (ein heikles Wort, weil sich in ihm eine situationsunangemessene Analogie zum Markt ausdrückt), daß heißt jene, die auf einen kalkulierbaren Ausbildungserfolg warten (Berufsinstitutionen im besonderen, aber auch die Gesellschaft insgesamt, die einen handlungsfähigen, verantwortlichen, sich für die Belange des Gemeinwesens engagierenden Bürger erwartet).
- Da sind Kollegen, mit denen gemeinsame Schulordnungen, Klassenordnungen, Notenmaßstäbe und Schülerbewertungen, Hausaufgabenverteilungen, außerschulische Aktivitäten, Lehrplankoordinationen abzusprechen sind.
4) Der Lehrer steht, wie jeder andere Berufsausübende auch, nicht nur im Bezugssystem einer einzigen Rolle .Er ist, nimmt man das bekannte Beispiel Dahrendorfs (7), außerdem wahrscheinlich Familienmitglied, vielleicht Angehöriger einer Kirchengemeinde, eines Vereins, einer politischen Partei. So wichtig und bedeutsam solche ergänzenden Verpflichtungen auch sein mögen, sie bringen sicherlich zusätzliche Spannungen mit, die man in der Sprache der Rollentheorie Interrollenkonflikte (8) nennt. So beschränken mit der einen Position immer verbundene zeitliche Belastungen die Möglichkeiten des Engagements bei einer anderen. So können weltanschauliche Aussagen in einer Kirchengemeinde auf eine mehrheitlich anders orientierte Staatspolitik treffen. So können die weltanschaulichen oder politischen Vorstellungen der eignen Kinder von denen der selber als Lehrer tätigen Eltern differieren, was zu Spannungen zwischen den in den Unterricht einfließenden Wertmustern und Teilen der eigenen Lebenspraxis führt.
Problematischer sind indes die sogenannten Intrarollenkonflikte (9), die durch unterschiedliche Erwartungslagen der verschiedenen Bezugsgruppen innerhalb des Berufs selber auftreten. Einige Beispiele:
- Geht das, was der Staat erwartet, mit dem konform, was Eltern erwarten?
- Geht das, was Eltern erwarten, mit dem konform, was Schüler erhoffen?
- Geht das, was Schüler erwarten, konform mit dem, was von Kollegen, von Eltern, vom Staat erwartet wird?
Damit sind wir dann wiederum bei den eingangs genannten, zuerst von Hermann
Nohl (10) formulierten Fragen: In wessen Namen versteht sich der Lehrer zuerst?
Jetzt freilich etwas modifiziert: Wie löst er diese Konflikte? Schlägt
er sich einfach auf eine Seite, oder hält er sich durch Rückzug
auf fachspezifische Inhalte nach Möglichkeit überhaupt aus solchen
Konflikten heraus?
Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß der Lehrerberuf
ein offensichtlich sehr spannungsgeladener ist. Höchst unterschiedliche
Erwartungen verschiedener Bezugsgruppen bringen den Lehrer unter Belastungen,
die der nicht sieht, der den Lehrer einfach als Fachlehrer, daß heißt
als Fachmann für fachliche Informationen , interpretiert. Spätestens
hier zeigt sich dann aber auch, daß die aus dem Funktionalismus abgeleitete
Polyvalenzthese von einem sehr fragwürdigen Optimismus ausgeht und von
Naivität nicht frei ist. In ihrer Konsequenz wird eine berufsorientierte
frühe Praxiserfahrung nämlich zu lange aufgeschoben. Das ist aber
nur dann gerechtfertigt, wenn man von der Annahme ausgeht, als ob jeder für
den Lehrerberuf taugen würde, wenn er nur wolle. Der vielberedete Praxisschock
zeigt allerdings deutlich in eine andere Richtung. Der junge Lehrer erfährt
in der Regel zu spät die tatsächlichen Belastungen dieses Berufs.
Für den Wechsel in einen anderen Beruf ist es dann meist bereits zu
spät. Man arrangiert sich mit der Situation durch eine Art von Abkapselung,
daß heißt, Vermeidung von Konflikten durch Rekurs auf ein einziges
Rollensegment, weil man nicht zeitig genug gelernt und erfahren hat, der
Vielfalt der Erwartungen gerecht zu werden und sich darauf einzustellen.
In der Sprache des interaktionstheoretischen Rollenkonzepts: Diese Lehrer
können ihre eigene Identitätsbalance nur dadurch festhalten, daß sie
sich den vielfältigen Erwartungen der Bezugsgruppen gegenüber reserviert
verhalten:
- Abkapselung gegenüber den Eltern (sowenig wie möglich Kontakte),
- Abkapselung auch gegenüber den Schülern durch reine Sachgespräche und durch Vermeidung weiterreichenden persönlichen Engagements,
- Abkapselung auch gegenüber den Kollegen (der einzelne Lehrer isoliert sich als Fachlehrer).
Gegenüber diesen Gefahren muß die Mehrdimensionalität des
Lehrerberufes deutlich herausgestellt werden und damit die entschiedene Forderung
an die Lehrerbildung, auf diese mehrteilige Aufgabe rechtzeitig vorzubereiten. Über
diese Mehrdimensionalität der Lehrrolle (11) informiert das Schema.
Damit sind die Gegensätze gekennzeichnet:
- Der Informator vermittelt in der Kühle wissenschaftlicher Distanz.
- Der Partner berät, appelliert, mahnt, hält zurück, treibt an.
- Das Vorbild stellt durch seine Person moralische Forderungen auf.
- Der Kontrolleur (Examinator) versagt sich gerade als Person notwendiger Objektivität wegen.
- Dem Erzieher ist der einzelne Mensch, das Individuum vorrangig, der pädagogische Bezug ist individualisierend (bereits Pestalozzi formulierte: „Erziehung geschieht nur unter Zweien“) (51).
- Für den Informator ist die Individualität des Schülers zwar nicht unerheblich, tritt aber vor der gleichmäßigen und nach Möglichkeit auch gleichzeitigen „Beschulung“ einer größeren Gruppe im Klassenverband zurück.
- Für den Fachmann ist Lehren informationsorientiert.
- Für den Erzieher ist Lernen ein existentieller Vorgang der Wertnahme, Wertbejahung, Weltorientierung.
- Für den Fachlehrer ist es eine zwar ärgerliche, für die zu vertretende Sache indes sekundäre Angelegenheit, wenn einzelne Schüler gewünschtes Wissen nicht nachweisen können.
- Der Erzieher, dem Vermittlung und Weitergabe von Werten nicht gelingt, gerät unter existentielle Betroffenheit.
Unter solchen Entgegensetzungen erst gewinnen die als Intrarollenkonflikte deklarierten Alltagsprobleme des Lehrers besondere Bedeutung, nämlich durch die Spannungen zwischen
- Partner versus Examinator,
- Berater versus Sozialchancenverteiler,
- Vorbild versus Fachmann.
Verstärkung des Erzieherischen muß indes nicht auf Kosten solider Wissensvermittlung geschehen. Es gibt, wie im Abschnitt „erziehender Unterricht“ schon dargelegt, eine Konzeption von Unterricht, in der sich beide Positionen zwar nicht reibungslos miteinander verbinden lassen, indes doch eine deutliche Verschränkung sichtbar wird:
- Erziehung in der Schule geschieht „auf dem Rücken von Unterricht“ und würde ohne Unterricht gar nicht stattfinden können,
- die erzieherische Komponente wiederum erweist sich als eine nicht hoch genug einzuschätzende motivationale Grundlegung auch des Fachunterricht.
Bedingung für einen solchen „erziehenden Unterricht“ ist freilich,
- daß Lehrer über diese Interdependenz Bescheid wissen und innerhalb der Lehrerbildung auf eine solche Unterrichtsorganisation vorbereitet werden (was gegenwärtig nicht ausreichend geschieht) und
- daß die Schule hinsichtlich ihrer Organisation, ihres Unterrichtsverständnisses wie auch der rechtlichen Absicherung der Lehrerkompetenz ihm die Handhabe gibt, erzieherisch wirken zu können.
Wenn heute, wie oft geklagt wird, sich viele Lehrer hinter ihrer Sachautorität
verschanzen, um überhaupt einigermaßen Kontrolle über die
Vorgänge in ihrer Klasse gewinnen zu können, sich also deutlich
unter Weglassung ihrer erzieherischen Aufgabe auf die Funktion des Fachlehrers
konzentrieren, dann zeigt dies deutlich mangelnde Voraussetzungen für
einen „erziehenden Unterricht“ an.
Alle diese Fragen lassen sich in einer zentralen zusammenfassen: Ist - und
wenn ja, wie - „erziehender Unterricht“ (27) möglich,
wie muß er beschaffen sein, und wie müssen Lehrer ausgebildet
werden, damit sie erziehenden Unterricht zu organisieren in der Lage sind?
Erziehung (im weiteren Sinne) im Raum der Schule hat drei wichtige Teilbereiche:
- Unterricht soll so organisiert sein, daß Erziehung im Bereich von Arbeitsmethoden und „Arbeitstugenden“ stattfindet und die Selbständigkeit des Schülers im selbsttätigen Lernen dadurch kontinuierlich erweitert wird;
- Unterricht soll so organisiert werden, daß Erziehung im Bereich sozialer Tugenden möglich wird;
Unterricht soll so organisiert sein, daß seine Atmosphäre, über die Gestaltung des Unterrichtsverlaufs vermittelt, zur Stärkung des Selbstwertgefühls des Schülers, zur Herstellung einer ausgeglichenen Identitätsbalance und einer angemessenen Ich-Stabilität beiträgt.
Arbeitsauftrag
- Fassen Sie die Vorstellungen Geißlers von der Lehrerrolle zusammen, stellen Sie sie dem Plenum in geeigneter Form vor und beleuchten Sie sie kritisch.
- Für Geißler resultieren die wesentlichen Probleme des Lehrerberufs aus den Schwierigkeiten, die viele Kollegen mit der Vielfältigkeit ihrer Rolle haben. Stimmen Sie ihm zu ?
- Können Sie Beispiele für konkrete Intrarollenkonflikte (oder sogar Interrollenkonflikte) aus Ihrer eigenen Praxis aufzeigen ?
- Informieren Sie sich in der Literatur über die „Polyvalenzthese“