1. Ein Kind fällt mir auf
Unterrichtstörendes Verhalten wird häufig als auffälliges
Verhalten genannt. Dabei zeigen auch viele Kinder auffällige Verhaltensweisen,
die nicht stören.
Auffälligkeit sollte nicht als zu beseitigendes Defizit betrachtet werden,
sondern als noch fehlende Fähigkeit, die es zu entwickeln und fördern
gilt.
Verschiedene Fallbeispiele werden beschrieben:
Störungen im sozialen Verhalten
- Aggressivität
- Prügeleien
- Beschimpfungen
- ...-
Minderwertigkeitsgefühle
- Angst
- Frustration
- Weinen
- Wenig Kontakt zu anderen
- Rückzug vor Lehrern und Mitschüler
Aufgabenbezogenes auffälliges Verhalten
- Unaufmerksamkeit
- Unkonzentriertheit
- Leicht ablenkbar
- „träumen“
„Opfer- und ewige Verlierer“
- Opfer von Prügeleien, Beschimpfungen
- Außenseiter
- Ausrasten bei zu hoher Belastung durch Andere
- Hilfe suchen beim Lehrer
- Intrigieren gegen andere
Konzentrationsschwierigkeiten
- leicht ablenkbar
- stehen häufig im Mittelpunkt
- geraten häufig in Streit
- Uneinsichtigkeit
- unkoordinierte Bewegungen, Probleme schwierige Bewegungen auszuführen, sich länger dabei zu konzentrieren (schreiben!)
Chaoten
- unordentlich
- können nichts der Reihe nach machen
- brauchen und suchen klare Aufträge
- sind oft sehr kooperationsbereit und verantwortungsbewusst
- wWissen, was sie brauchen, können es aber selbst nicht leisten.
Oftmals haben Auffälligkeiten multiple Ursachen:
- unangemessene Lernumwelt, auch in der Schule
- Lebensgeschichte und – umwelt
- Entwicklungsprobleme der Wahrnehmung und Motorik
Mit einem Faktor kommen Kinder häufig noch gut zurecht. Mehrer Faktoren überfordern Kinder. Lehrer haben nur selten Einfluss auf mehrere Faktoren.
2. Ich habe meine Erklärungsmuster
Verhalten ruft automatisch Erklärungsmuster
hervor. Über diese sollte man von Zeit zu Zeit bewusst nachdenken, da
das pädagogische Handeln in der Praxis schnell und daher oft unreflektiert
geschieht. Das Nachdenken soll die pädagogische Handlungsfähigkeit
erweitern.
[Diese Erklärungsmuster nennt man im Kontruktivismus: subjektive
Theorien. Im Gegensatz zu objektiven Theorien, können die Grundstrukturen
häufig nicht dargelegt werden. Vergleichen sie dazu noch einmal die
Aussagen bei Professionalität]
Erklärungsmuster:
2.1. Hyperaktivität
- Bereits häufig Säuglingsalter, als Krankheit betrachtete Ursache unruhigen Verhaltens. Ritalin kann zur „Ruhepause“ eingesetzt werden.
- Problematisch: die Einflussnahme wird unterschätzt, wenn das Verhalten auf eine Krankheit „geschoben“ wird.
- Das Kind kann ein neg. Selbstbild bekommen: Ich bin krank! Daraus resultiert häufig eine Misserfolgsorientierung.
2.2. Aggressivität
- Verhaltensforscher sagen, Aggressivität liege in der Natur des Menschen.
- Problematisch: das Verhalten wird Instinkten und Trieben zugeschrieben und somit als wenig änderbar eingeschätzt
2.3. Frühkindliche (negative) Erfahrungen
- Auffallendes Verhalten ist eine Reaktion / Signal auf Erlebnisse in der frühen Kindheit.
- Problematisch: psychische Prozesse sind nicht beobachtbar, Lehrer sind keine Psychologen. Dem Kind wird eine „Störung“ zugeschrieben, dessen Ursachen ohnehin nicht mehr zu „reparieren“ sind.
- Man sollte sich fragen, wem oder was das Kind mit seinem Verhalten aus dem Weg geht. Was passiert, wenn Kind sich nicht so verhält. („Wovor hat Rambo Angst?“)
2.4. Das Kind weiß eben, wie es durchkommt
- Laut der Verhaltenstheorie kann man Verhalten lernen, aber auch VERLERNEN.
- Was löst das Verhalten aus? Was geschieht während des Verhaltens mit dem Kind und der Klasse? Was geschieht nach dem Verhalten? Konsequenzen?
- „Catch her at being good“ positive Verhaltensweisen stärken
- Kritik: „Gummibärchenpädagogik“ ist aber oft wirksam. Außerdem: Chance der Übergabe von Fremd- auf Selbstbeurteilung (Smiley verdient?)
[Überprüfen sie zu den Mechanismen noch einmal die Lerntheorien]
2.5. Schule macht die Kinder auffällig!
- Vieles in der Schule ist nicht so, wie es sein sollte: volle Klassen, enge Räume, schlechter Pausenhof, langweiliger Unterricht, Vertretungen….
- Was sind die wichtigsten (negativen) Einflüsse und wie kann man es (sich) ändern?
2.6. Ein Klassenzimmer ist ein Gleichgewicht: jedes Verhalten beeinflusst jedes andere Verhalten
- Für jeden ist sein Verhalten sinnvoll.
- Jede Klasse und Situation unterliegt gewissen Spielregeln.
- Es gilt den Sinn und die Spielregeln zu erkennen und ggf. zu verändern.
2.7. Das Kind ist in seiner sozial-emotionalen Entwicklung zurückgeblieben
- Auffälligkeit als Zeichen von Entwicklungsverzögerung
3. Ich vermute Störungen von Wahrnehmung und Motorik
Entwicklungsstörungen / -defizite werden häufig bei Schuleintritt
sichtbar. Die Anforderungen an das Kind ändern sich.
Primäre Störungen sind Störungen, die das Kind direkt betreffen,
mit denen es umgehen muss:
3.1.bei der Informationsaufnahme
- Störungen der Körperwahrnehmung
- der Wahrnehmungsdifferenzierung
- der Wahrnehmungsquantität
- der Gestalterfassung
3.2. bei der Informationsausgabe („Signale“, die das Kind gibt)
- Störungen der Körperkoordination in vielfältiger Weise
- der feinmotorischen Koordination
- der Sprachkoordination
3.3. Bei der Informationsverarbeitung (die sich nicht direkt beobachten lässt)
Die primären Störungen und das Zusammenspiel der Umweltanforderungen ergeben sog. Sekundäre Störungen:
- geringe Belastbarkeit
- Unaufmerksamkeit und Konzentrationsschwäche
- leichte Ablenkbarkeit und Unruhe
- Leistungsinstabilität, Impulsivität und Stimmungsschwankungen
- Kommunikationsstörungen
Das Zusammenspiel von primären und sekundären Störungen überfordern das Kind oftmals, daraus ergeben sich die tertiären Störungen, die längerfristiges Lernen und das Verinnerlichen von Lernen blockieren können.
4. Ich brauche eine Förderplan
Erziehung im schulischen Rahmen verlangt ein ebenso planmäßiges, systematisches vorgehen wie Kenntnisvermittlung.
Als Lehrer „erzieht“ man quasi durch JEDE Handlung.
4.1. Beobachtung und Beschreibung
Das auffällige Verhalten muss genau beobachtet und beschrieben werden:Wann tritt es auf, was geschieht dann, wie reagiert das Kind, die anderen, die Lehrperson, was hilft in solchen Situationen…?
Fragen zum Entwicklungsstand:
Welche Fähigkeiten hat das Kind bereits durchgängig / ansatzweise / gar nicht? Wie kann man das Kind ermutigen? Was überfordert das Kind?
Möglichkeiten der Schülerbeobachtung:
- Eigene Gelegenheitsbeobachtungen
- Beobachtung durch Kollegen (hinten im Unterricht)
- Zusammentragen von Beobachtungen mehrerer Kollegen
Folgende Fähigkeiten sollten Kinder zwischen 6 und 9 sukzessiv erwerben: (S.32f)
- aufgabenbezogenes, regelgeleitetes Verhalten
- …
- kommunikatives Verhalten
- …
- soziales Verhalten
- …
Zeigt ein Kind einige dieser Verhaltensweisen nicht, sind auch die Eltern „als Experten“ zu Rate zu ziehen. Wichtig: die Fähigkeiten des Kindes betonen! In der 3./4. Klasse können auch Kinder sich selbst bereits recht realistisch nach solchen Kriterien einschätzen.
4.kollegiale Fallberatung (näher Beschrieben
4.2. Kleine Schritte zu kleinen Zielen
Wichtig: dem Kind die Zuversicht geben, dass es sein Ziel erreichen kann!
Zeiträume bestimmen, bis wann, welche Dinge gezielt gefördert werden
sollen.
4.3. Erfolgskontrolle
Schwierig!
Sind Fortschritte gemacht?
wenn
ja, wie geht es nun weiter?
Nur teilweise Fortschritte?
was
muss verändert werden?
Gar keine Fortschritte?
neue
Beschreibung der Ist-Lage, Ziele und Förderbedürfnisse neu definieren.
Fragenkatalog
zur Beschreibung der Ist-Lage (S.36)
Fragenkatalog
zur Zielfindung (S.37)
Fragenkatalog
zu den pädagogischen Maßnahmen (S.37)
4.4. Förderung der Selbstwahrnehmung des Kindes
Regelmäßige Rückmeldung über Fortschritte an das Kind
ist wichtig.
Wichtig: nicht ständig NEGATIVE Rückmeldung, die erfährt
das Kind ohnehin zu häufig. Abwertung,
neg. Selbstbild
Das Kind braucht aber vor allem Mut als Grundlage der Verhaltensänderung.
Problem: viele Kinder erkennen ihre kleinen Erfolge nicht selbst,
ihre Wahrnehmung ist bereits auf die Defizite ausgerichtet. Wahrnehmung
umlenken.
[ Hilfreich zumVerstehen des Konzeptes, das hinter den Begriffen Umdeuten, Reframen steht sind die Seiten unter Unterrichten.]
Dazu:
„Reflexion mit Erziehungsplankarte“
kindgerechte
Zielfomulierungen, über die dann mit dem Kind auch gesprochen werden
kann.
z.B.: „Ich arbeite an Aufgaben, die ich so ähnlich schon kenne
ohne Hilfe der Lehrerin und zwar mindestens 5 Minuten am Stück. Das
Ergebnis ist nicht so wichtig, Hauptsache, ich bleibe dabei.“
Das Kind kann dann (zunächst mit Hilfen) konkrete Erfolgserlebnisse
nennen.
5. Lehrerverhalten und Unterrichtsorganisation
5.1. Organisation des Unterrichts
- Orientierungshilfen schaffen
- Klare Regeln formulieren
- Sichere und angenehme Lernatmosphäre schaffen
- Neues immer mit Bekanntem verbinden
- Regelmäßiges Üben von Lernschritten, Handlungsabläufen, Ritualen und Regeln
- „Tu dies“!, nicht „Lass das“!
- Mimik und Gestik einsetzen um Aufmerksamkeit zu sichern
- Lernerfolge würdigen
5.2. Entwicklung der Motorik mit Bewegungsangeboten
Bewegung als Grundlage des Lernens„Wer sich bewegt, bleibt nicht sitzen“!- die Schüler bei bestimmten Arbeitsaufträgen aufstehen lassen
- Lerninhalte und Informationen durch Gestik und Mimik unterstützen
- Nachfahren von z.B. Buchstaben
- Zur Tafel hüpfen und nicht gehen
- Physiobälle einsetzen
- Auf- und Abgehen um Gedanken zu sammeln
5.3. Entlastung bei Wahrnehmungsproblemen
- Übungen zur Wahrnehmung des Körpers
- Übungen zur Wahrnehmung der Sprache
- Übungen zur Wahrnehmung der Gefühle
- Übungen zur Wahrnehmung der Umwelt
- Übungen zur Wahrnehmung des Auditiven, Taktilen und Visuellen
Einbinden in den Unterricht so oft wie möglich; regelmäßig!
5.4. Zusammenarbeit des Lehrers mit den Eltern
- Gespräche führen
- Hintergründe erfragen
- Förderung des Kindes auch zu Hause
- Möglichkeiten des individuellen Lernens bieten ( Wochenpläne auch für Hausaufgaben)
- Kontakt pflegen
- Rückmeldungen geben
- Kind die Möglichkeit geben selbständig zu werden!
6. Handwerkskoffer für den Lehrer
6.1. Strukturierung des Unterrichtgeschehens
- Kinder über Unterrichtsaktivitäten informieren
- Phasenwechsel
- Strukturierung des Raumes
- Wochenthema/ Einheiten bilden
- Auswahl von Unterrichtsaktivitäten
6.2. Loben
- für angemessenes Verhalten
- als positive Rückmeldung
- nicht zu viel sonst wirkt es unglaubwürdig
6.3. Spiegeln
- Rückmeldung über Verhalten
- Aufmerksam machen
- Situation spiegeln
- Positive Selbstwahrnehmung des Kindes
6.4. Grenzen setzen
- notwendig!
- Was will ich?
- Konsequenz!
6.4. Umlenken und Umgestalten
- Sozialform
- Sprache
- Aufgaben anders stellen
Situationen wahrnehmen
6.6. Regeln und Rituale
- einfach, konkret, bildhaft, kurz
- beginnen mit „ich“ oder „wir“
- Wörter wie nicht, kein und ohne vermeiden
Regeln sind Gebote!
Rituale sind Anker:
-
in der Zeit
-
im Raum
-
in der Abfolge
-
im Aufbau
-
in Krisen
-
bei besonderen Anlässen
6.7. Motivieren
- Material
- Persönlichkeit
- Thema
- Aufbau
- Sozialform
6.8. Konfliktgespräche führen
- Situation strukturieren
- Gesprächseröffnung
- Herausfinden des zentralen Problempunktes
- Eine Lösung die auf- für den Schüler- wichtigen Werten basiert
- Den Erfolg der Lösung überdenken und planen
- Rückkehr vorbereiten
Situation | Neg. Formulierung der Lehrkraft | Pos. Formulierung der Lehrkraft |
1) Peter redet dazwischen | Peter, jetzt redest du schon wieder dazwischen! | Du willst ganz viel zum Thema erzählen, und oft kannst du dich schon an die Melde-Regel halten, das weiß ich. |
2) Jens hat nur noch 3 Fehler im Diktat | Super- nur noch 3 Fehler. Ich freu mich. | Du hast intensiv geübt; dein Erfolg beweist, welche Fortschritte du im Rechtschreiben machst. |
3) Sven hat ein schönes Bild von einem Papageien gemalt, kann aber schlecht mit Lob umgehen und seine Arbeiten kaum akzeptieren | Schaut mal, das hat er ganz super gemacht! | Er hat den Papageien so bunt gemacht, wie er auch in der Natur ist. So einen ähnlichen habe ich schon einmal in der Natur gesehen, du auch? |
4) Die Schüler sollen sich gegenseitig nicht beim Arbeiten stören | Wir stören keinen bei der Arbeit! | Wir lassen jeden in Ruhe arbeiten! |
5) Die Schüler sollen nicht in die Pause rasen | Rast nicht über den Flur! | Geht ruhig über den Flur in die Pause! |
6) Kai wird ausgelacht, weil er eine falsche Antwort gegeben hat. | Bei uns wird niemand ausgelacht | Wir akzeptieren, dass jeder Fehler machen darf |
Literaturhinweis
Bergsson/Lukfiel: „Umgang mit schwierigen Kindern“
Auffälliges Verhalten. Förderpläne. Handlungskonzepte. Berlin: Cornelsen Scriptor, 1998
verfasst von:
Dziedo, Krumm, Gilbert
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