Grundkenntnisse biologischer Prinzipien über Aufbau und Funktion
von Nerven- und Gliazellen sind für einen Pädagogen heute unverzichtbar.
Auf die entsprechende biologische Literatur sei verwiesen.
Sehr vereinfacht können Nerven bzw. Gliazellen (früher
wurden sie nur als Stütz- und Ernährungselemente für die
Nervenzelle betrachtet) mit elektronischen Schaltelementen verglichen
werden, die aufgenommene Reize als elektrische Impulse miteinander verrechnen.
In den rund 1300 (Frauen) bis 1500 g (Männer) Hirnmasse sind bis
zu 15 Millionen Nervenzellen vorhanden. Jedes einzelne Neuron ist durchschnittlich
mit 1000 anderen Neuronen durch Synapsen verbunden. Die Vernetzung innerhalb
des Gehirns ist so groß, dass damit die erstaunlichen Leistungen
des Menschen und die Unterschiedlichkeit zwischen den Individuen im Denken
erklärt werden können.
Ältere Autoren betonen stark, dass bei der Geburt mehr Nervenzellen
im vergleich zu älteren Personen vorhanden sind. Durch eine anregende
Umwelt, durch vielfältige Anreize, treten die noch wenig verknüpften
Nervenzellen miteinander in Kontakt. Netze entstehen, das Individuum
lernt.
"Feuern" zwei oder mehr sich berührende Nervenzellen gleichzeitig,
entstehen mehr Verknüpfungsstellen - Synapsen (Hebb'sche Regel). Nicht
gebrauchte bzw. wenig benutzte Verbindungen werden dagegen abgebaut. Dies geschieht
alles unter dem Einfluss von Hormonen bzw. Transmittern.
Natürlich hat dieser nüchterne biologische Sachverhalt auch
Konsequenzen für das Unterrichten:
Beispiel 1:
Spitzer geht z.B. davon aus, dass während der Umstellung in
der Pubertät durch den Einfluss der Geschlechtshormone viele (kindlichen)
Verknüpfungen abgebaut werden - der Pubertierende also in einer
gewissen Weise gar nicht mehr "richtig denken" kannn. Während
der Pubertät entstehen also neue Muster, die sich in dieser Entwicklungsphase
konsolidieren sich. Die ursprünglich funktionierenden Bahnen, stehen
aber mindestens zum Teil nicht mehr zur Verfügung.
Beispiel 2:
Sprachpädagogen berufen sich z.B. darauf, dass die "sensible
Phase" zum Erwerb von Fremdsprachen vor der Pubertät liegt.
Neuere Autoren betonen,dass das Gehirn sehr plastisch ist und je nach
Anforderungsgehalt der "gestalteten Umwelt" bis ins hohe Alter
lernfähig bleiben kann. Im Alter sind zwar weniger Nervenzellen
vorhanden, die Netze zeigen jedoch viel engere Maschen. Jetzt können
Routineaufgaben schneller abgearbeitet werden.
Bei lernfähigen Menschen - bilden sich jedoch auch im hohen Alter
noch neue Verknüpfungen - ja sogar Nervenzellen. "Auch alte
Hunde lernen neue Tricks".
Wenn man das Verhältnis zwischen der Anzahl der Neuronen betrachtet,
die
äußere Reize aufnehmen und "ins Gehirn leiten" betrachtet,
fällt auf, dass die "interene Verkabelung" die Zuleitungen
um mehrere Potenzen überschreitet. Dies lässt heute nur noch
den Schluss zu, dass das Gehirn aus den Daten die sogenannte "Wirklichkeit" konstruiert.
Das Gehirn funktioniert nicht so wie ein Fotoapparat, der auf dem Film
die Lichtquellen analog abbildet.
Das Gehirn dagegen verarbeitet Impulse und formt nach den bereits vorhandenen
Erfahrungen eine "Wirklichkeit", die sein Überleben ermöglicht.
Dieser auf den ersten Blick etwas seltsam anmutende Sachverhalt hat natürlich
auch seine Auswirkungen auf das Unterrichten.
Beispiel 3:
Wenn die Lehrkraft einen Sachverhalt vermeintlich objektiv vorträgt,
macht jeder einzelner Schüler aus den verschiedenen ausgesendeten
Botschaften sich seinen eigen Sinn. Ist er emotional dann noch in einer
emotional belastenden bzw. angenehmen Situation (Scheidung der Eltern/
Treffen mit Freunden,...) verankert, erreichen u. U. die Botschaften
gar nicht seine Aufmerksamkeit.
Vergleiche zum Hintergrund der Aussagen dazu die Aussagen des Konstruktivismus
Einfache Lebewesen wie etwa Zecken brauchen vieles nicht zu
lernen; ihre Umwelt besteht nur aus einem winzigen Ausschnitt
der Wirklichkeit, und hierfür lassen sich alle wesentlichen
Verhaltensparameter genetisch festlegen. Sofern Lebewesen jedoch
komplexere Muster aus ihrer Umgebung extrahieren, um dadurch
auch mit komplexeren Verhaltensweisen reagieren zu können,
wird Lernen notwendig.
Nach der Hebb'schen Regel werden Verbindungen zwischen aktiven
Neuronen verstärkt. Netzwerke werden trainiert, indem man
ihnen immer wieder Beispiele der zu lernenden Input-Output-Beziehungen
darbietet, dann den Input verarbeiten lässt, die Abweichung
des gewünschten Resultats der Verarbeitung mit dem gewünschten
Resultat feststellt und danach das Synapsengewicht so ändert,
dass sich der Output dem gewünschten Output annähert." Spitzer
verwendet den Begriff der "neuronalen Netze" aus der
AI-Forschung (Computertechnologie) in Analogie zu den nachgewiesenen
Vorgängen im Gehirn ...
Überwachtes Lernen muss langsam vonstatten gehen, damit nicht
nur Einzelnes gelernt wird, sondern allgemeine Strukturen des Input
gelernt werden. Dies steht in gewissem Widerspruch zum Evolutionsdruck
für jeden Organismus, so rasch wie möglich zu lernen.
Die Lösung des Problems besteht darin, zunächst rasch
zu lernen und dann immer langsamer. Auf diese Weise werden die
wahren Werte der Umweltparameter rasch und exakt gelernt.
...
Wie neuronale Netzwerke lernen auch Kinder dadurch, dass sie allgemeine
Strukturen aus Beispielen selbsttätig extrahieren. Regeln
werden nicht durch Predigten sondern anhand von Beispielen gelernt. Kinder
müssen spielen (Hervorhebung H.Beck) , um Verhaltensweisen
ohne drastische Konsequenzen ausprobieren zu können. Komplexe
Handlungen, Reaktionsmuster, Sozialverhalten und die verschiedensten
Erfahrungen werden so immer wieder durchgespielt und dadurch
gelernt."
M. Spitzer (1996): "Geist im Netz
- Modelle für Lernen, Denken und Handeln."
WBG; S. 67 f.
Wer mehr zur Funktion der Nervenzellen und ihrer Bedeutung für
pädagogische
Fragestellungen erfahren wil, sieht unter denHinweisen und Vertiefung
nach.
Links zu Neurodiaktiken:
www.neurodidaktik.de
www.schule-bw.de/unterricht/paedagogik/
netschool.de/ler/delese
Inhalt 1
Die
Gedächtnissysteme
Wenn wir uns zuerst einmal klar machen, weshalb Tiere eine Gedächtnis
besitzen, wird deutlich, welche Besonderheiten das menschliche besitzt.
Der Besitzer eines Gedächtnisses hat den Vorteil, dass er sich
in seiner Umgebung sehr leicht zurecht findet, Fremdes vom Bekanntem
und Freund von Feind unterscheiden kann. Auch beim Essen bieten sich
entscheidende Vorteile: wurde z.B. eine bestimmte Nahrung gegessen, die Übelkeit
verursachte, ist es es besser, diese in Zukunft zu meiden.
Ein Gedächtnis lässt also das Individuum leichter überleben,
sich fortpflanzen, ... Es ist also gut, dass Erfahrungen konserviert
werden, damit positive Situationen wieder aufgesucht und negative gemieden
werden.
Leider besitzt die konservative Eigenschaft des Gedächtnisses
beim Menschen auch unliebsame Konsequenzen:
Schmerzhafte (traumatische) Erfahrungen können beim Menschen dazu
führen, Lernen zu vermeiden und uralte Situationen immer wieder
nachzuerleben. Vergessen zu können und Gedächtnisinhalte so
zu verändern, dass "neues Leben"
wieder möglich ist, gehört mit zu den positiven Eigenschaften
des reflexiven menschlichen Geistes, auch wenn dazu manchmal Hilfe notwendig
ist.
Beispiel :
Sie werden Beim Unterrichten feststellen können, dass einige Schüler
in der Fortschreibung eines Lehrganges an die Stelle kommen, an der sie
eine Problematik durch Rückgriff auf früher erlerntes zu lösen
versuchen. Die neue Methode ist ihnen nur sehr schwer zu vermitteln,
weil sie die alte so gut beherrschen.
Fritz Simon spricht als systemischer Therapeut dann davon, dass
diese Dinge dann zu "entlernen" seien, (Was in den Augen
der Behavioristen natürlich ein Unsinn ist)..
nach oben
a. Speichern und Abrufen
Unter den beschriebenen Voraussetzungen führen neue Reize bei
Tier und Mensch zu einer ersten Orientierungsreaktion.
Beispiel :
Bei einem lauten Knall drehen wird uns in dessen Richtung. Weisen wir
dem Geräusch keinerlei Bedeutung zu, haben wir ihn nach ganz kurzer
Zeit vergessen. Wir gewöhnten uns ganz einfach an ihn: "Wir
lernten, dass das Geräusch nichts bedeutet (Habituation)" deshalb
können wir es auch später kaum beschreiben (abrufen). Das
Geräusch wurde nur kurzfristig gespeichert.
Der gleiche Vorfall erhält für uns jedoch eine ganz andere
Bedeutung, wenn wir ihn mit etwas Besonderem verbinden: sei es eine Erinnerung
oder, dass wir gleichzeitig gegen den Laternenpfahl laufen. Der gleiche
Ausgangsreiz erhält jetzt eine Bedeutungszuweisung, so dass wir
ihn längerfristig erinnern. Unter Umständen reagieren wir in
Zukunft auf das Geräusch besonders sensibel (Sensitivierung).
Jedoch ist nicht immer gesagt, dass das was ihr gespeichert haben, auch
abgerufen werden kann. Sie kennen sicher das Phänomen: "Es
liegt mir auf der Zunge" bzw. "Ich weiß es doch, kann's
jetzt aber nicht sagen." Hier wird besonders deutlich, dass zum
Abrufen von Informationen Hinweisreize gehören, die das Abrufen
erleichtern.
Beispiel:
nach oben
b. Zeitliche Einteilung
F. Vester teilte das Gedächtnis nach der Möglichkeit
des Abrufes in verschiedenen Zeitspannen ein.
Er unterschied das Ultrakurzzeitgedächtnis (UKZG) Abruf bis Sekunden,
das Kurzzeitgedächtnis (KZG) mit dem Abruf bis Minuten, einen mittelfristigen
Speicher (Stunden bis Tage) und das Langzeitgedächtnis (LZG).
Im Langzeitgedächtnis sind die Informationen Jahre bis lebenslang
abruffähig. Um Informationen vom UZKG ins Langzeitgedächtnis
zu bekommen, sind entweder viele Wiederholungen nötig oder aber,
die emotionale Beteiligung ist sehr hoch.
Als Mechanismus der Speicherung wird die langsame Vernetzung von Nervenzellen
betrachtet: "Aus elektrischen Entladungen werden stabile neuronale
Netze."
Beispiel:
nach oben
c. Gedächtnishierarchien
Nach Art der beteiligten Systeme lässt sich das Gedächtnis
in ein Gedächtnis für Handlungsaläufe und für Wahrnehmung
unterscheiden. Das Motorische sowie das Perzeptive Gedächtnis wird
aus verschiedenen Quellen gespeist: Handlungen d.h. muskelaktivierende
Tätigkeiten versorgen überwiegend das Motorische, Sinneseindrücke
das Perzeptive Gedächtnis.
Das Motorische Gedächtnis ist stark mit Kleinhirnstrukturen, das
perzeptive Gedächtnis stark mit Großhirnstrukturen verbunden.
Begriffserklärungen:
Artgedächtnis: Im Artgedächtnis
liegen die Gedächtnisspuren, die sich als erfolgreich bewährt
haben. Dazu zählt z.B.: die Furcht vor Schlangen.
Sensorisches Gedächtnis: Die Verarbeitung und
der Abruf von Informationen erfolgt nach Sinneskanälen
getrennt. Werden Sinneskanäle vermischt, spricht man von
Synästhesien z.B.: Musik als Farben wahr nehmen.
Erinnerungen an Erlebnisse sind z.B.: als "Filme", "kinästhetische
Wahrnehmungen" oder "Tonbänder, Selbstgespräche " im Episodischen
Gedächtnis abrufbar.
Das Semantische Gedächtnis, speichert sprachliche
und bedeutungsbezogene Inhalte, während das Konzeptuelle
Gedächtnis abstrakte Begriffsgefüge bzw. Beziehungen
zwischen Begriffen zur Verfügung stellt.
nach oben
d. Organigramm des Langzeitgedächtnis
Am häufigsten wird für den schulischen Zweck zwischen Deklarativem (Explizitem) und
nicht Nicht-Deklarativem (Impliziten) Gedächtnis unterschieden.
Ein genauere Darstellung erfolgt später im Kapitel "Wissen".
Wie krankheits- und unfallbedingte Ausfälle sowie die split-brain
-Forschung zeigen, liefern beide Großhirnhälften spezifische
Beiträge zum menschlichen Denken und Verhalten:
a. Lateralität - Steuerung
Mit wenigen Ausnahmen empfängt die linke Hirnhälfte vorwiegend
Sinnesreize von der rechten Körperseite und steuert diese. Die rechte
Hirnhälfte übernimmt vorwiegend die entsprechenden Aufgaben
für die linke Körperhälfte. Verbindungbahnen zwischen
beiden Hirnhälften ermöglichen eine Ganzkörperkoordination.
Beispiel :
b. Hemisphärenspezialisierung - Lateralität
In vielen populären Darstellungen werden den Hirnhälften
eindeutige Funktionen zugeordnet.
Sicher ist, dass viele Reize in beiden Hirnhälften gleichzeitig
aber unterschiedlich verarbeitet werden. Für Höchstleistungen
in Sprache, Mathematik, Musik, usw. ist zudem nachgewiesen, dass beide
Hirnhälften gleichzeitig stark aktiviert sind.
Nach dem Modus der Verarbeitung (preferred cognitive modus) eingeteilt,
verarbeitet die linke Hirnhälfte die Erregungen sequentiell (hintereinander)
und ist auf Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge spezialisiert, während
die rechte analog (gestalthaft, in Ähnlichkeitsbeziehungen) arbeitet.
Es besteht die Vermutung, dass Aufmerksamkeitsfaktoren bei der Entstehung
von Asymmetrien eine wesentliche Rolle spielen. Deshalb kann sich die
Lage der Funktionen durch eine unterschiedliche Lerngeschichte auch stark
individuell unterscheiden.
Vermutungen:
- "Die Ausprägung unterschiedlicher Talente könnte
mit der Lateralisierung für bestimmte Verhaltensweisen
zusammenhängen."
- Bei Frauen ist die Sprachlateralisierung weniger ausgeprägt
und gleichmäßiger auf beide Hemisphären verteilt.
Dies führt zur größeren verbalen Flüssigkeit.
Zudem ist die Balken bei Frauen stärker entwickelt (verbesserter
Austausch zwischen beiden Gehirnhälften).
- Bei männlichen Feten ist bereits mehr Bewegung im Uterus
zu verzeichnen, deshalb entstehen später Vorteile bei
räumlich-geometrischen Aufgaben. Gleichzeitig ist die
Handdominanz geringer (mehr Linkshänder).
- Weil männliche Feten häufiger mit dem rechten
Ohr nach außen liegen, ist bei 2/3 der Männer die
Sprache links lateralisiert.
Beipiel:
Literatur
Schmidt; Thews; Lang (28. Auflage, 2000): Physiologie des Menschen.
S. 183 ff.
Das Dominanz-Konzept
Nach der gebräuchlichsten Hypothese entstand die Lateraliserung
des Gehirns durch den spezialisierten Gebrauch der rechten Hand. Dies
führte zu einer Dominanz der linken Hirnhälfte, d.h. die rechte
Körperhälfte wird "sozusagen bevorzugt": Bei Rechtshändigkeit
liegt die sprachliche Dominanz meist - aber nicht immer - jedoch in der
linken Hirnhälfte.
Verschiedene, therapeutisch ausgerichtete Ansätze gehen davon aus,
dass bei nicht entwickelter bzw. rechter Hirndominanz, spezifische Schul-
und Lernproblematiken auftreten.
Fakten
- Bis zum 4. Lebensjahr kann die linke bei Ausfall der rechten Hirnhälfte
alle Aufgaben der rechten übernehmen.
- Über die Entstehung der Lateralität gibt es keine gesicherten
Erkenntnisse.
- Die unterschiedlichen Funktionen - Händigkeit, Sprache und visuell
- räumliche Darstellung - können weitgehend unabhängig
voneinander sein.
Beispiel :