1. Einführung
Während man in der amerikanischen Literatur sehr häufig den Begriff Lernstile hört, wird in Deutschland auf Frederik Vester zurückgehend der Begriff Lerntypen verwendet. Oft werden beide Begriffe gleichgesetzt, obwohl sie Verschiedenes bedeuten.
2. Lerntypen/ Lehrtypen
F. Vester machte 1975 mit seinem Buch: "Denken - Lernen - Vergessen" als erster in Deutschland die Ergebnisse der Hirnforschung der breiten Öffentlichkeit zugänglich. Er unterschied nach den Wahrnehmungs-/ Eingangskanälen 3 Lerntypen:
- Lerntyp: der Auditive - lernt durch Sprechen und Hören
- Lerntyp:der Optisch/Visuelle - lernt durch Sehen
- Lerntyp: der Haptische - lernt durch Berühren,
Machen
Sein vierter Lerntyp:
-
der Intellektuelle - versteht.
Dieser vierte Lerntyp nach Vester ist auf einer ganz anderen Ebene
der - nämlich auf der der Verarbeitung - angesiedelt.
Sehen wir uns die Unterschiede genauer an: Während die ersten drei nach
der Aufnahme von Reizen bzw. deren Abruf charakterisiert werden, bezieht
sich scheinbar der 4. sehr abstrakt auf das Verstehen.
Hier wird Vester nun vorgeworfen, dass er bei den ersten 3 Lerntypen die
Verstehensleistung unterschlage.
Aus Reproduktionsexperimenten - siehe gängige Lerntypentests - so ein
weiterer Kritikpunkt, lasse sich nichts über die Qualität den Vorgang
des Denkens und Verstehens aussagen. Auch die Beispiele, die Vester in seinem
Buch bringt, seien in diesem Sinne nicht eindeutig.
Zur Kritik | "Sinnesdaten werden vom Gehirn gespeichert. Wir haben mental eine Vorstellung davon, wie die Dinge klingen, aussehen, riechen, sich anfühlen oder schmecken. Individuell unterschiedlich ist die Ausprägung dieser Vorstellungen, d.h. die Behaltensleistung kann durch die Art der Wahrnehmung beeinflusst werden. Die Beliebtheit der Vesterschen Lerntypen und die daraus entstandenen Didaktiken scheinen Aufschluss über die Art und Weise schulischen Lernens zu geben. Wenn es um reproduzierbares Wissen, um Auswendiglernen geht, können aus den Lerntypen abgeleitete und vermittelte Strategien des Lernens durchaus nützlich und ausreichend sein. Sobald jedoch komplexere Lernleistungen erwartet werden, reicht diese Form des Unterrichtens nicht aus. Möglicherweise spiegeln Untersuchungen wie die TIMS-Studie den Zustand unserer Schulen wider. Statt Problemlösung zu fordern und einzuüben begnügt man sich mit Einprägen und Wiedergabe von Wissen." Looß, Maike : "Lerntypen? - Ein
pädagogisches Konstrukt auf dem Prüfstein." |
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Das vor 30 Jahren erschienen Buch ist sicher in einigen Teilen überholt,
doch lenkte es damals zum ersten Mal die Aufmerksamkeit der Lehrenden auf
die Wichtigkeit der Darbietungsformen.
Der Appell der Kritiker an das "Denken und Verstehen" allein,
bietet jedoch keine Anschlussfunktion.
3. Lernstile/ Lehrstile
In der amerikanischen Literatur werden Lernstile manchmal dimensional eingestuft. Zum Lernen bevorzugte Dimensionen können sein:
Sortiert nach: | mögliche bevorzugte Lernstiltendenzen | |||||
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Umweltab-hängigkeit | Geräusch- empfindlichkeit |
Lichtwahl | bevorzugte Temperatur | Raumeinrichtung | ||
Emotionale Komponenten | Motivation | Ausdauer | Empfänglichkeit | Strukturierung Strukturiertheit | ||
Soziologische Kriterien | arbeitet mit Gleichaltrigen | arbeitet lieber allein | Partnerarbeit |
Team-arbeit | braucht Autoritäts-person | braucht Autoritäts-person und Gruppe |
Physische Einteilung | Wahrnehmungskanäle | Ernährung | Zeitbedarf/ -einschätzung/ -druck | Bewegung: |
||
psychologische Kriterien | denkt: analytisch - global | Gehirndominanz | Arbeitsstil: reflexiv - impulsiv |
Wir finden hier also eine Vielzahl an Dimensionen, die beim Lernen eine
Rolle spielen können.
Gehen wir exemplarisch auf einige ein:
- Wenn wir zu den Umweltkomponenten gehen, wird klar, wenn sie sich an ihre Bedürfnisse in der Selbsterfahrungsphase erinneren, dass Ruhe versus Musik, kalt - mollig, ... alles auch von ihnen als fürs Lernen förderlich oder behindernd beschrieben wurde.
- Bei dem Punkt Ernährung sollten sie neben den "Lernessern" auch im Auge behalten, dass einige Kinderärzte z.B. phosphathaltige Nahrungsmittel (Brühwurst, Cola, ...) in Verbindung mit Verhaltensauffälligkeiten bringen. Die heutzutag übliche Medikamentierung von Kindern bei ADHS mit Ritalin ist natürlich auch beim Lernen in der Klasse erkennbar.
- ..
New Trends in Learning Styles:
unter diesem Motto machte Michael Grinder ab 1990 Workshops in Deutschland.
Als amerikanischer
"Lehrer des Jahres" besuchte und untersuchte er viele Klassenzimmer.
Dabei stellte er in Termini des Neurolinguistischen Programmierens (NLP)
fest, was gute Lehrer auszeichnet. Gute Lehrer in diesem Sinne berücksichtigen
u.a. die Wahrnehmungskanäle:
- sie diagnostizieren ihren eigenen bevorzugten Sinneskanal bzw. die verwendeten Kombination.
- sie wissen , wie sie selbst Informationen abrufen.
- sie diagnostizieren die bevorzugten Lernstile ihrer Schüler und bieten ihnen die Informationen dementsprechend an.
- sie erkennen, wie in Stressituationen die "Wahrnehmungsfähigkeit zusammen schrumpft" und kennen entsprechende Mittel, den Schülern aus der Sackgasse zu helfen.
- ...
Ähnlich wie bei Vester haben wir Eingangskanäle, die
nach der Wahrnehmungsqualität visuell (V), auditiv (A), kinästhetisch
(allgemeine Körperempfindungen + das Haptische) (K) und Geruch/ Geschmack
(olfaktorisch/gustatorisch zusammengefasst als O) eingeteilt werden. Je nach
Entwicklungsstand werden n. Grinder verschiedene Kanäle/ bzw. Kanalkombinationen
bevorzugt. Beim Abrufen der gespeicherten und verarbeiteten Information werden
die in Sinnesmodalitäten gespeicherten Repräsentationen abgerufen.
Dies kann mit der Hilfe vieler Kanäle geschehen, aber auch nur mit wenigen.
In Stressreaktionen, so Grinder, stehen weniger Kanäle zum
Speichern sowie zum Abruf der Information zur Verfügung.
Zum Überlegen:Führen Sie einen Lerntypentest durch und überprüfen Sie für sich:
|
Nach M. Grinder entwickeln sich die Repräsentationssysteme im Verlauf der kindlichen Entwicklung. Dabei gibt es zeitweilige Präferenzen, aber auch kulturelle Unterschiede.
Es gibt also nicht den visuellen Typen an sich, sondern einen Menschen, der den visuellen Zugang in den und den Situationen am liebsten verwendet. Mit Erfahrung und Lebenssituation sowie auch bei Nichtnutzung einzelner Systeme ändert sich die Fähigkeit, gezielt auf die jeweiligen Sinneskanäle im geschilderten Sinne zurückzugreifen.
Leider können aber Lieblingszugangweisen nicht immer verwendet werden.
Dies ist besonders bedauerlich, wenn es sich um eine Stress- oder Leistungssituation
handelt. Sie werden so z.B. Mütter begegnen, die behaupten, dass ihr
Kind die Aufgabe zu Hause noch ganz gut lösen konnte, aber in der Schule
....
Vielfach ist das nicht immer eine Schutzbehauptung - die Kinder konnten Daheim
wirklich den Aufgabentyp bearbeiten, im Klassenzimmer - aber nicht. Entweder
fehlten in KLassenzimmer die entsprechenden Hinweisreize oder andere Eindrücke
(Lautstärke, Lieblingsfeind,..)
überdeckten sie.
Das zustandsabhängige Lernen und Erinnern ist übrigens auch wissenschaftlich belegt: In der gleichen Umgebung, beim gleichen Geruch ( Marcel Proust ist mit seinem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" dafür ein interessanter Beleg), sind die Abrufleistungen wesentlich höher.
Mit diesen Einschränkungen im Blick lassen sich den Alterstufen n. Grinder folgende Stufungen zuordnen:
- Bis zur 3./4. Klasse spielt das Muskelgedächtnis K eine
große Rolle: Die Kinder zählen mit den Fingern, fassen alles
an, berühren, suchen "Kontakt". Die Kinder, die keinen guten
Zugang zu ihrem Muskelgedächtnis ( keine gute Motorik besitzen), haben
, fallen auf durch: "häufiges Hinfallen, Verunfallen, Unordentlichkeit,...." auf.
Zwar ist das Muskelgedächtnis sehr solide, wenn der Sachverhalt gespeichert ist, doch dauert die Speicherung sehr lange ( Spitzer spricht von 3000 oder mehr Wiederholungen des Bewegungsablaufs). - Ab 3./4. Schuljahr sind auditive Strategien häufiger:
Überlagerungen mit Abzählen an den Fingern, lautem, "stillem
Rechnen"
bis zur Subvokalisation sind beobachtbar.
Bei Schülern mit "Tonbandgedächtnis A " ist eine Kontrolle des auditiven Vorgangs, besonders beim Sprachen lernen, wichtig.
Da "Inneres Vorsagen" nur nacheinander abläuft, müssen diese Schüler bei einer lauten Störung wieder von vorn beginnen. - Ab 3./4. Schuljahr zeichnen sich die visuellen Schüler ab: sie
zeigen das gewünschte Lernverhalten, sind schnell und Haben eine besonders
sorgfältige Heftführung.
Schülern mit "Bild-/Filmgedächtnis V " gelingt es, ihm Kopf Informationen umzuordnen. Sollen solche Schüler Tast- und Fühlaufgaben oder an Diskussionen teilnehmen müssen, fühlen sie sich häufig gestört (ist zu laut, zu wenig strukturiert), unterfordert oder gelangweilt.
In der Klassensituation kann der größte Teil mit den verschiedenen Modi umgehen. Von 30 Schülern - so ein Anhaltspunkt nach M. Grinder - bevorzugen etwa 4 - 6 einen bestimmten Kanal. 2 -3 psychologische auffällige Schüler, zeigen vielleicht an, dass Verarbeitung und Abruf nicht aufeinander abgestimmt sind.
Als Konsequenz dieses Sachverhaltes bedeutet es für sie, dass sie den Großteil der Klasse mit möglichst vielseitigen (vielkanaligen) Arbeitsmitteln unterweisen. Arbeitet diese Gruppe, wenden sie sich den "problematischen" Kindern zu und unterweisen sie auf ihre Lernstrategie hin angepasst.
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Zum Überprüfen!
Merkmale ausgeprägter Lehrstile | ||
---|---|---|
Kinästhetisch | Auditiv | Visuell |
spricht eher langsam | spricht rhythmisch | spricht eher schnell, oft monton und hoch |
bevorzugt "handgreifliche " Dinge (Handzettel, praktische Arbeit, ...) | liebt Diskussionen | liebt den Einsatz visueller Hilfsmittel (Tafel, TLP, Folien, ...) |
liebt Schülerprojekte (Aufführungen, szenische Darstellungen, Rollenspiele, ...) | liebt rhythmische Gestaltung von Texten, Musikuntermalung | liebt viel Stoff und ordentliche Gestaltung |
entwickelt Ideen beim Arbeiten | Trägt Ideen vor/ entwickelt Ideen im Gespräch/ paraphrasiert gerne | Entwickelt klare Vorstellungen/ Form und Inhalt sind wichtig |
beurteilt Handlungen/ Produkte u. Prozesse der Schüler | beurteilt Ausführungen/ Darstellungen/ Beteiligung | beurteilt Präsentationen, möchte gern Tests/ Literatur (Schwarz auf Weiß) |
kann unorganisiert wirken, zeigt aber starke Beteiligung, kann Zeit vergessen | hört sich selbst gern reden/ kann gut zuhören, kann im Gespräch Zeit verlieren | wirkt eher organisiert: klare Zielsetzungen, kann aber auch total von Ideen (den eigenen und den von anderen) fasziniert sein und die Zeit vergessen |
reiche Körpersprache: Gestikulieren | Rhythmische Körperbewegungen | von der Körpersprache eher steif, Augen manchmal defokussiert |
Aus der Verschiedenheit der Lehrstile und der Lernstile ergibt sich notwendigerweise das Problem der Passung:
Schüler, die z.B. einseitig auditiv ausgerichtet sind haben u. U.
Schwierigkeiten, Diagramme an der Tafel zu verarbeiten. Für sie wird
ein Übersetzungsvorgang notwendig:
Achten sie mal bitte darauf, wie viele Schüler bei dem Verstehen eines
Diagramms die Lippen bewegen und sich selbst "laut oder leise vorsprechen".
Mitschüler finden dies manchmal lästig. Lehrer könnten diese
individuelle Notwendigkeit auch als Störabsicht interpretieren.
Einer Lehrkraft, die eher den großen Wurf, denn die penible Gestaltung
des Tafelbildes im Auge hat, kann es denn auch passieren, dass (visuelle)
Schüler das Tafelbild - auch in den nicht erwünschten Ausprägungen
- kopieren. "So muss es sein! So steht das an der Tafel".
Der auditive würde vielleicht zurückfragen, während der kinästhetische
gar nicht so weit kommt.
Ziel aller Anstrengungen:
Schulung der Schüler auf allen Kanälen. Nutzen der Stärken zum Abbau der Schwächen.
Zum Nachdenken!
- NLP und Auszüge aus dem Lebensrückblick eines Physikers: Im NLP wird versucht über verschiedene Indikatoren, den Prozess
des Denkens zu rekonstruieren. Mit Hilfe von sinnesspezifischen Repräsentationssystemen
bzw. deren Abfolge werden Aussagen über die Art des Denkens gegeben.
Diese Art des Vorgehens ist vielfach einer Kritik unterzogen worden. Von einer Untersuchung über das Zeitempfinden angeregt, beschließt Feynman, seine eigenes Zeitempfinden durch Zählen zu überprüfen. Nachdem er fest den eigenen Rhythmus erforscht hatte, untersuchte er im nächsten Schritt, welche Tätigkeiten er gleichzeitig dabei noch tätigen konnte. [Um auf 60 zu zählen, dies entspricht einer vermuteten Minute, benötigte er im Schnitt, mit der Uhr gemessen, 48 Sekunden.] Bei einer Diskussion seiner Ergebnisse mit Bekannten wurde das Experiment weiter entwickelt: Einer der Anwesenden, ein gewisser John Tukey, meinte: "Ich begreife einfach nicht, dass du dabei (beim Zählen einer Minute; H.B.) lesen kannst, begreife aber nicht, warum du dabei nicht reden kannst. Wetten, dass ich beim Zählen reden kann, und dass du dabei nicht lesen kannst." Ich erklärte mich bereit, den Beweis anzutreten, nahm ein Buch und las, während ich zählte. Bei 60 angekommen, sagte ich: "Jetzt!" - 48 Sekunden, meine normale Zeit. Dann berichtete ich, was ich gelesen hatte. Tukey war verblüfft. Nachdem wir ein paarmal seine Zeit genommen hatten, um seine Normalzeit herauszufinden, fing er an: " Mary had a little lamb, ...ich kann sagen, was ich will; ich weiß nicht, worüber ihr euch den Kopf zerbrecht..bla bla bla..." und schließlich: "OK!" Und es war genau seine Zeit!. |
Literatur:
Grinder, M. (2003): "NLP für Lehrer." VAK
Grinder, M. (1995): "Ohne viel Worte." VAK
Vester, F. (1975) : "Denken
- Lernen - Vergessen. "